VisErgyControl - Integrale Tages- und Kunstlicht­steuerung für hohen visuellen und melanopischen Komfort bei hoher Primärenergieeffizienz

In VisErgyControl wurde eine integrale simulationsgestützte Tages- und Kunstlichtsteuerung entwickelt. Diese geht insbesondere auf die visuellen und melanopischen Bedürfnisse der NutzerInnen (biologische Wirksamkeit von Tages- u.- Kunstlicht) ein und soll gleichzeitig den Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudes minimieren.

Kurzbeschreibung

Im Forschungsprojekt VisErgyControl wird das Konzept einer integralen, simulationsgestützten Tages- und Kunstlichtsteuerung entwickelt und umgesetzt. Während bei derzeitigen Bauvorhaben meist eine Regelungsstrategie basierend auf Innenraumsensorik zur Steuerung der Fassade realisiert wird, ermöglicht der Ansatz einer Steuerstrategie einen zielführenden Betrieb des Gebäudes. Anstatt reaktiv auf die aktuelle Situation im Gebäude zu reagieren, kann durch eine mit „Intelligenz" beaufschlagte Steuerung präventiv agiert werden. Das in VisErgyControl umgesetzte Steuerungskonzept geht dabei erstmals auf die visuellen und melanopischen Bedürfnisse der NutzerInnen (biologische Wirksamkeit von Tages- u.- Kunstlicht) ein, während gleichzeitig thermischer Komfort gewährleistet sowie Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudes auf ein Minimum reduziert werden.

Ausgangssituation/Motivation

Österreichs Städte sind weiterhin im Wachstum begriffen. Die Stadt der Zukunft wird neben der verbesserten Energieeffizienz der Gebäudehüllen im Zuge der nachhaltigen Sanierung auch an Flächeneffizienz zunehmen müssen. Nachverdichtung und Aufstockungen sind eine bereits sichtbare Folge, womit aber auch eine geringere Tagesbelichtung der unteren Stockwerke und folglich eine geringere Tageslichtautonomie mit einhergehen. Die Folge ist ein hoher Kunstlichtanteil und damit – trotz künftig noch effizienterer Leuchtmittel – erhöhter Stromverbrauch für die Beleuchtung. Mit dem Projekt VisErgyControl sollen hierzu Lösungen erarbeitet werden, um dem Aspekt des reduzierten Tageslichteintrages aktiv gegenzusteuern.

Im selben Ausmaß erleben wir derzeit vor allem im Bürobau einen starken (architektonisch motivierten) Trend hin zu Fassaden mit einem hohen Transparenzanteil. Dies bringt zum einen Vorteile für die Tagesbelichtung, wirkt sich anderseits aber ebenso kritisch auf den Kühlbedarf aus. Um hier für einen energieeffizienten Gebäudebetrieb ein Optimum zu erreichen, kommt intelligent gesteuerten Fassadensystemen eine hohe Bedeutung zu. Durch Entwicklung eines integralen Steuerungsansatzes, welcher sowohl energetische als lichttechnische Anforderungen optimiert und zugleich mit einem Minimum an Sensorik und Implementierungsaufwand auskommt, sollen diesen Anforderungen für zukünftige Fassaden erreicht werden.

Zusätzlich zum rein quantitativ messbaren Tageslichteintrag (z.B. Lux auf Arbeitsfläche) kommt auch den nicht-visuellen Faktoren zunehmend Bedeutung zu. Der rein normative Einsatz von Kunstlicht und die dadurch geringe Tageslichtnutzung im Raum können den psychophysiologischen Lichtbedarf meist nicht adäquat decken. Durch die gezielte Steuerung lichtlenkender Fassadensysteme wurde im Projekt VisErgyControl auch diesem Aspekt Rechnung getragen, um so in Zukunft Wohlbefinden und Produktivität von Büroinsassen weiter zu verbessern.

Inhalte und Zielsetzungen

An diesen drei ganz wesentlichen Ausgangspunkten für den zukünftigen effizienten Betrieb von Fassadensystemen setzte das Projekt VisErgyControl an:

  • Integraler Steueransatz von Fassadensystemen nach energetischen, lichttechnischen sowie melanopischen Kriterien für den Einsatz in der Gebäudeleittechnik
  • Verbesserte Tagesbelichtung bei Nachverdichtung und tiefen Bürogrundrissen durch effiziente Steuerung von Tageslichtlenksystemen
  • Reduktion bzw. Verbesserung der notwendigen Sensorik für eine kostengünstige und effiziente Implementierung der entwickelten Steuerstrategie

Ausgehend vom aktuellen Stand der Technik sollte mit dem neuartigen Steuerungskonzept eine Reduktion an notwendiger Sensorik ermöglicht und somit die Komplexität bei der Implementierung in eine Gebäudeleittechnik reduziert werden können. Mit dem Steuerungsansatz wird ebenso erstmals der Anspruch verfolgt, das Gebäude basierend auf einer simulationstechnischen Vorberechnung der Ist-Situation zu steuern. Dieser Ansatz unterscheidet sich somit klar von dem etablierten Regelungsansatz in der Praxis, welcher meist auf Basis von Innenraumsensoren (z.B. Look-Down Sensoren für die Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz) auf die Ist-Situation reagiert. Thermisch vorausschauend kann ein Regelungsansatz nicht agieren.

Die Herausforderung im Steuerungsansatz liegt vor allem in einer hinreichend genauen Simulation der aktuellen Situation, welche basierend auf einem theoretischen Gebäudemodell (thermisch und lichttechnisch) und dem aktuellen Außenklima (zentrale Messstation am Dach) die Situation im Innenraum realitätsgetreu nachbildet. Hierzu wurde ein anwendbares Konzept entwickelt, welches Hauptgegenstand im Projekt VisErgyControl war.

Das Steuerkonzept wurde an einem entwickelten Tageslichtlenksystem im Fassadenprüfstand einem Real-Langzeittest unterworfen und anschließend auch in die GLT einer realen Bürofassade implementiert.

Methodische Vorgehensweise

Die Arbeitsinhalte orientierten sich initialisierend an der Aufbereitung des Wissensstandes zu aktuellen Konzepten der Fassadensteuerung in der Praxis sowie dem Stand der Wissenschaft hinsichtlich biologischer Wirksamkeit von Tages- und Kunstlicht und deren möglicher Berücksichtigung in der Steuerung von Fassaden. Davon abgeleitet wurden Kriterien definiert, welche ein Fassadensystem erfüllen muss, um den Anforderungen einer energetisch, lichttechnisch und melanopisch optimierten Fassade gerecht zu werden.

Parallel dazu wurde hinsichtlich notwendiger Sensorik an verschiedenen Konzepten sowie an Algorithmen und Definitionen zur Quantifizierung der melanopischen Wirkung des Tageslichts gearbeitet, welche weiterfolgend in das Steuerkonzept eingebunden wurden. Im Bereich der Simulation und Modellierung wurde das Steuermodul „Visual and Energy Control Module" (VEC-Modul) aufgebaut und in einem ersten Schritt simulationstechnisch getestet. Eine Evaluierung der Potentiale des Steuerungsansatzes erfolgte aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit ebenso auf Simulationsbasis anhand eines Einzelraummodells sowie eines Mehrzonenmodells. Zusätzlich wurden in der Simulation unterschiedliche Szenarien durchgespielt, um das Verhalten des Steuermoduls genauer zu analysieren und unterschiedliche Betriebsmodi abzuleiten.

Im Langzeitversucht (ca. 1 Jahr) des Steuerungsmodules in Kombination mit einem Tageslichtlenksystem am Fassadenaußenteststand der Universität Innsbruck wurden umfassende thermische und lichttechnische Messdaten erfasst, welche zur praktischen Erprobung des Steuerungsmodules dienten. Die Ergebnisse ermöglichten außerdem einen ersten Vergleich zwischen simulierten und gemessenen Werten und erlaubten somit auch einen ersten Rückschluss auf die Praxistauglichkeit der Steuerung. Um auch Aussagen über die Anwendung an einem realen Bürogebäude zu untersuchen, wurde das Steuermodul auch noch in die Bürofassade eines Projektpartners implementiert. Eine abschließende Befragung der Büroinsassen gab Aufschluss über die Nutzerfreundlichkeit.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Im Projekt VisErgyControl ist es gelungen, verschattende und tageslichtlenkende Fassadensysteme in Kombination mit dem Kunstlicht so zu steuern, dass sowohl visueller Komfort, als auch nicht-visuelle (melanopische) Wirkung bei minimalem Primärenergieeinsatz für Kunstlicht und Klimatisierung (Heizen und Kühlen) optimiert werden. Das vorerst als Excel-Prototyp ausgeführte Steuerungsmodul „VEC-Modul" wurde für unterschiedliche Anwendungsfälle getestet und mittels Simulationsstudien wurden unterschiedliche Betriebsmodi ausgearbeitet. Im Verglich zu einer konventionellen Regelungsstrategie nach fix vorgegebenen Grenzwerten konnte eine Einsparung im Endenergiebedarf von bis zu 31% erzielt werden. In der Praxiserprobung des VEC-Moduls in der PASSYS-Zelle konnte ein realistisches Verhalten des Steuermodules nachgewiesen werden. Im direkten Vergleich zwischen Simulations- und realen Messergebnissen zeigten sich Abweichungen, welche auf Vereinfachungen im Modell sowie auf externe Einflüsse während der Monitoringphase zurückzuführen sind. Die Implementierung in die GLT eines existierenden Bürogebäudes war erfolgreich und konnte für mehrere Wochen einem realen Testbetrieb unterzogen werden.

Ausblick

Der aktuelle Stand des Steuerungsmoduls beweist, dass mit vergleichsweise einfachen und effizienten Methoden eine deutlich effizientere Fassadensteuerung möglich ist. Vom Konsortium wird daher großes Potential für die zukünftige Anwendung in der Gebäudeleittechnik gesehen und eine Fortsetzung der Forschungsarbeit angestrebt.

Eine sinnvolle Tätigkeit wäre die Weiterentwicklung des VEC-Modul-Prototyps in eine Dienstleistung zur Steuerung der Lamellenpositionen und der Kunstlichtleistung. Die Integration in die Gebäudeleittechnik sollte dabei modular möglich sein, sodass etwa die Steuerung des Kunstlichtes als Schnittstelle zur Verfügung gestellt wird, welche unabhängig von der Lamellensteuerung genutzt werden kann. Weiters wird die Einbindung von Wettermodellen diskutiert, womit eine vorrausschauende Steuerung möglich wäre, welche sich positiv auf den resultierenden Energiebedarf auswirken dürfte. Zudem könnte ein räumlich hoch aufgelöstes Wettermodell (etwa basierend auf Himmelskameradaten) dazu beitragen die erforderliche Messtechnik am Einzelgebäude weiter zu reduzieren.

Galerie

Publikationen

VisErgyControl - Integrale Tages- und Kunstlicht­steuerung für hohen visuellen und melanopischen Komfort bei hoher Primärenergieeffizienz

In VisErgyControl wurde eine integrale simulationsgestützte Tages- und Kunstlichtsteuerung entwickelt. Diese geht insbesondere auf die visuellen und melanopischen Bedürfnisse der NutzerInnen (biologische Wirksamkeit von Tages- u.- Kunstlicht) ein und soll gleichzeitig den Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudes minimieren. Schriftenreihe 43/2019
D. Plörer, M. Hauer, R. Pfluger
Herausgeber: BMVIT
Deutsch, 63 Seiten

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Projektbeteiligte

Projektleitung

Assoz. Prof. Dr.-Ing. Rainer Pfluger - Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen, Universität Innsbruck, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften

Projekt- bzw. KooperationspartnerInnen

  • Bartenbach GmbH
  • HELLA Automation GmbH

Kontaktadresse

Universität Innsbruck - Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften
Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen
Technikerstr. 13
A-6020 Innsbruck
Tel.: +43 (512) 507-63601 oder +43 512 507-63651
Fax: +43 (512) 507-63699
E-Mail: rainer.pfluger@uibk.ac.at
Web: www.uibk.ac.at/bauphysik