Sozial100%Erneuerbar: 100% erneuerbare Wärme- und Kälteversorgung im sozialen Wohnbau - das Demonstrationsprojekt Käthe-Dorsch-Gasse
Kurzbeschreibung
Motivation und Ausgangslage
Durch den Anspruch des sozialen Wohnbaus, leistbaren Wohnraum zu schaffen, ergibt sich ein wesentlicher Kostendruck bei der Gebäudeerrichtung. Gleichzeitig bestehen die Anforderungen, energieeffiziente und ressourcenschonende Gebäude zu errichten und durch die geschaffenen Wohn- und Freiräume einen positiven Beitrag zur Lebensqualität der Bewohner:innen zu leisten. In genau diesem Spannungsfeld ist das gegenständliche Projekt angesiedelt: Innerhalb eines knappen Kostenrahmens sollte ein Wohnbau entstehen, der einen Beitrag hin zur klimaneutralen Stadt leistet, leistbaren Wohnraum schafft und gleichzeitig den Bewohner:innen eine hohe Lebensqualität bietet.
Die Wohnhausanlage in der Käthe-Dorsch-Gasse 17 (Projektname „Wientalterrassen") ging als eines der beiden Siegerprojekte für das Gebiet Käthe-Dorsch-Gasse aus einem öffentlichen, 2018 ausgelobten Bauträgerwettbewerb der ÖBB Immobilienmanagement GmbH und des wohnfonds_wien hervor, in welchem u.a. ein klimafreundliches Energiekonzept gefragt und die Verwendung von Erdgas ausgeschlossen war. Ein Fernwärmeanschluss kam für das Areal im 14. Wiener Gemeindebezirk, welches im Norden durch die Bahntrasse der ÖBB begrenzt wird, nicht in Frage, da Fernwärme in diesem Gebiet nicht verfügbar ist. Unter der Führung des Bauträgers WBV-GPA (Wohnbauvereinigung für Privatangestellte) wurde auf dem rund 10.500 m2 großen Bauplatz ein großes Wohnbauprojekt mit 295 geförderten Mietwohnungen inkl. einiger Zusatzeinrichtungen wie dem Generationenzentrum „All in Penzing" seit 2018 geplant und zwischen Herbst 2020 und Herbst 2022 umgesetzt.
Projektinhalte und Zielsetzungen
Als übergeordnetes Ziel verfolgte das Projekt „Sozial100%Erneuerbar" die Umsetzung einer 100 % erneuerbaren Wärme- und Kälteversorgung für die Wohnhausanlage Käthe-Dorsch-Gasse 17 („Wientalterrassen"), unter den Bedingungen des sozialen Wohnbaus bei Erreichung eines hohen Wohnkomforts.
Ziele im Detail:
- Umsetzung, Monitoring und Optimierung eines Gesamtsystems der Wärme- und Kälteversorgung, das in dieser Kombination noch nicht umgesetzt wurde, insbesondere im sozialen Wohnbau. Dieses System besteht aus den folgenden Elementen: Geothermie mit Sondenfeldregeneration, Wärme- und Kälteabgabe über Bauteilaktivierung, Free Cooling, Abwasser-Wärmerückgewinnung, Photovoltaik-Anlage zur Deckung des Strombedarfs der haustechnischen Anlagen, Sondenfeld-Regeneration über solarthermische Kollektoren und einen Asphaltkollektor;
- Als (technische) Besonderheit Umsetzung und Performance-Monitoring eines Asphaltkollektors (zur Sondenfeldregeneration und zur Abmilderung des Urban Heat Island-Effekts);
- Erreichen einer hohen Multiplizierbarkeit des Systems für vergleichbare Bauvorhaben; Aufzeigen von Herausforderungen und Optimierungspotenzialen;
- Information und Einbindung der Bewohner:innen durch geeignete Informationskanäle/-materialien;
- Erhebung der Akzeptanz des Energiesystems und des Nutzerverhaltens der Bewohner:innen.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Das System der Energieversorgung wurde, wie oben beschrieben, erfolgreich umgesetzt und im November 2022 in Betrieb genommen. Als besonderes Highlight des Projekts können die im Vergleich zu einer Fernwärmeversorgung deutlich geringeren Energiekosten und die weitgehend hohe Zufriedenheit der Bewohner:innen gewertet werden, welche durch die zweiteilige Post-Occupancy Evaluierung (Online-Umfrage, persönliche Interviews) bestätigt wurde. Einzelne Kritikpunkte (wie beispielsweise ein teilweise als kontraintuitiv wahrgenommenes Raumbediengerät, das im zweiten Betriebsjahr ausgetauscht wurde) führten nicht zu einer generellen Unzufriedenheit mit dem Energieversorgungssystem. Der thermische Komfort wurde insbesondere in den Sommermonaten als sehr hoch eingeschätzt. Das Projekt wurde somit dem Anspruch eines Leuchtturmprojektes gerecht.
Vom Bauträger WBV-GPA wurde von Beginn an eine umfassende Informationsstrategie für die Bewohner:innen verfolgt. Die im Projekt entwickelten Infomaterialien, insbesondere die beiden Erklärvideos, wurden gut angenommen. Das Informationsangebot zum Zeitpunkt des Einzugs der Bewohner:innen (im Herbst 2022) war sehr umfangreich gestaltet.
Der Asphaltkollektor, welcher im Oktober 2022 errichtet wurde und der erste seiner Art in Österreich ist, wurde im Mai 2023 erstmals in Betrieb genommen. Die Wirkung des Asphaltkollektors hinsichtlich einer Reduktion des „Urban Heat Island"-Effekts und des Beitrags zur Sondenfeldregeneration wurde messtechnisch untersucht. Ein Abkühlungseffekt von bis zu 10 °C konnte an der Oberfläche des Asphaltkollektors (im Vergleich zu einer Referenz-Oberfläche) durch Thermografiemessungen nachgewiesen werden. Der Beitrag des Asphaltkollektors zur Sondenregeneration fiel während der ersten beiden Betriebsperioden gering aus, was aber zum Teil auch an einer ungünstigen Regelungsstrategie lag. An einer Optimierung der Regelungsstrategie und einer verbesserten Performance des Forschungs-Prototyps des Asphaltkollektors sollte weiterhin geforscht werden.
Eine weitere Besonderheit des Energieversorgungssystems ist die Umsetzung einer Anlage zur Abwasser-Wärmerückgewinnung für die Warmwasserbereitung. Diese Anlage nutzt den gesamten Abwasserstrom (Grau- und Schwarzwasser) für die Wärmerückgewinnung. Die mit diesem System gekoppelte Brauchwasser-Wärmepumpe erreichte eine Jahresarbeitszahl von 3, nach der Wärmerückgewinnung lag die mittlere Vorlauftemperatur der Brauchwasser-Wärmepumpe im Jahr 2024 bei 10,7 °C. Das System hat sich im Betrieb gut bewährt, es stellte sich aber im Zuge des Energiemonitorings heraus, dass die zur Abdeckung der Verluste aus der Warmwasserzirkulation durch Nutzung der Abwärme der Technikzentrale installierte Luft-Wärmepumpe zu gering dimensioniert war. Ein Austausch ist derzeit in Planung.
Im Jänner 2023 begann das umfangreiche Energie- und Komfortmonitoring, womit zum Zeitpunkt der Berichtslegung die Monitoring-Ergebnisse von zwei Betriebsperioden vollständig vorliegen, auf deren Basis sich verschiedene Schlussfolgerungen hinsichtlich der Effizienz des bisherigen Anlagenbetriebs und möglicher Optimierungspotenziale ableiten ließen. Optimierungspotenziale ergaben sich beispielsweise hinsichtlich einer Reduktion der Länge des Heizbetriebs, einer verbesserten Regelung der drei Heizungswärmepumpen oder einer Veränderung der Massenströme in den durchgängig versorgten Heizkreisen der Wohnungen.
Das Monitoring des thermischen Komforts in neun ausgewählten Wohnräumen (in neun verschiedenen Wohnungen) zeigt relativ ausgeglichene Innenraumtemperaturen über das ganze Jahr hinweg. In den Erdgeschoßwohnungen, welche vom Komfortmonitoring erfasst waren, lagen die Temperaturen während der Heizperiode zwischen 22 und 26 °C, in den Wohnungen mit hohem solarem Eintrag im obersten Geschoss konnten sie bis zu 28 °C erreichen (über die Verwendung des standardmäßig ausgeführten Sonnenschutzes in diesen Wohnungen liegen keine Daten vor). Die relativen Luftfeuchten lagen während der Heizperiode zwischen 20 und 50 %. Niedrigen Luftfeuchten könnte durch geringere Vorlauftemperaturen und einen geringeren Grund-Luftwechsel der ausgeführten Zwangsbelüftung während der Heizperiode entgegengewirkt werden.
Die Wärmebilanz der beiden Sondenfelder war während der ersten beiden Monitoringperioden nicht ausgeglichen (mehr Wärmeentzug als -einspeisung), wobei im zweiten Betriebsjahr das Wärmedefizit verringert werden konnte. Im Jahr 2024 wurde 68 % der entzogenen Wärme regeneriert, wobei der Entzug von Wärme aus den Wohnungen durch das Free Cooling den größten Beitrag zur Sondenfeldregeneration leistete (67,3 %), gefolgt von den thermischen Solarkollektoren (31,6 %) und dem Asphaltkollektor mit einem relativ geringen Anteil von 1,2 %. Bezogen auf eine angestrebte vollständige Regeneration konnte durch das Free Cooling der Wohnungen im ersten Betriebsjahr (2023) 42,8 %, im zweiten Betriebsjahr (2024) 45,7 % der entzogenen Wärme regeneriert werden.
Mit einem Monitoring der Temperaturen des anliegenden Erdreichs (ein Messwert pro Monat) wurde im Jänner 2024 begonnen.
Ausblick
Das umfangreiche technische Monitoring der Energie- und Komfortparameter wird ein volles drittes Betriebsjahr durch eine externe Fachfirma fortgeführt. Hauptaufgabe wird während dieser Periode sein, einen annähernd ausgeglichenen Betrieb des Sondenfeldes durch eine Änderung der Regelstrategie sicherzustellen, sowie einen funktionierende und effiziente Zirkulationsnachwärmung zu installieren, und weitere kleinere Optimierungspotentiale aufzuzeigen.
Nach Beendigung dieses umfangreichen Monitorings wird der Betreiber der Heizanlage mit den weiterhin zur Verfügung stehenden Monitoringdaten die Balance im Betrieb selbständig sicherstellen, wobei ihm bei Bedarf externe Unterstützung gewährt wird.
Auch das Monitoring der Performance-Parameter des Asphaltkollektors soll nach dem Ende des Projekts „Sozial100%Erneuerbar" weitergehen. Das Langzeitmonitoring des Asphaltkollektors soll eine genauere Analyse der Ursachen der bisher relativ geringen Performance des Asphaltkollektors ermöglichen.
Darüber hinaus ist auch angedacht, in Nachfolgeprojekten an anderen Standorten weitere Flächen mit Asphaltkollektoren umzusetzen. Dabei könnten auch wesentliche Designparameter wie Dicke und Zusammensetzung der Schichten des Asphaltkollektors variiert werden. Weitere grundsätzlich zu behandelnde Punkte wären eine optimierte Einbindung in das Gesamtsystem und eine verbesserte Regelungsstrategie.
Publikationen
100% erneuerbare Wärme- und Kälteversorgung im sozialen Wohnbau – das Demonstrationsprojekt Käthe-Dorsch-Gasse (Sozial100%Erneuerbar)

100 % erneuerbare (Vor-Ort) Wärme- und Kälteversorgung im sozialen Wohnbau bei Erreichung eines guten Wohnkomforts. Umsetzung, Monitoring und Optimierung eines Gesamtsystems der Wärme- und Kälteversorgung, das in dieser Kombination noch nicht umgesetzt wurde (insbesondere im sozialen Wohnbau).
Schriftenreihe
77/2025
Ernst Schriefl, Felix Burian, Julian Schöberl, Helmut Schöberl, Edith Haslinger, Nándor Mihály, Stephan Kling, Annemarie Schneeberger, Franz Pranckl
Herausgeber: BMIMI
Deutsch, 119 Seiten
Downloads zur Publikation
Projektbeteiligte
Projektleitung
Schöberl & Pöll GmbH
Projekt- bzw. Kooperationspartner:innen
- Wohnbauvereinigung für Privatangestellte Gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (WBV-GPA)
- AIT - Austrian Institute of Technology GmbH
Kontaktadresse
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