MUFUWU Stadtbaum - Entwicklung, Evaluierung von multifunktionalen Stadtbaumstandorten in Bestandsstraßen. Wurzelraum, Retention, Mikroklima
Kurzbeschreibung
Das Projekt „MUFUWU Stadtbaum - Entwicklung und Evaluierung von multifunktionalen Stadtbaumstandorten in Bestandsstraßen" hat eine messbare, nachhaltige und langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen für Stadtbäume in bestehenden Straßenräumen von dicht verbauten Stadtbezirken als Inhalt und Ziel. Die Grundlage hierfür bietet das System Schwammstadt für Bäume, das mittlerweile zunehmende Bekanntheit in Österreich erlangt. Dieses System, das die Wirkungen eines Stadtbaums im urbanen Umfeld mit dem Wasserrückhaltepotenzial eines großen unterirdischen Auffangvolumens verbindet, wurde im Zuge des Projekts in der Bestandsstraße Leonhardgürtel in Graz gemeinsam mit einer umfassenden Monitoring-Einrichtung etabliert und über die ersten beiden Standjahre messtechnisch begleitet. Das neuartige System gibt einerseits Hoffnung auf vitaleres und langjähriges Baumwachstum und damit gekoppelt die Erfüllung zahlreicher Ökosystemleistungen im urbanen Raum und ist andererseits für die Siedlungswasserwirtschaft als dezentrale Regenwasser-Bewirtschaftungs-Maßnahme (grün-blaue Infrastruktur) von Interesse.
Obwohl das System bereits erstmals vor sechs Jahren in Österreich angewandt wurde, sind Pilotstandorte nach wie vor rar, vor allem wissenschaftlich begleitete mit Messeinrichtungen und datenbasierten Prozess- und Fehleranalysen des Systems und seiner zahlreichen Ausprägungsformen. Weiters wurde das System vor dem Start des Projekts kaum in Bestandsstädten umgesetzt, weshalb hierzu wenig Erfahrungen vorlagen. Auch die Frage des Umgangs mit bereits existierenden Bestandsbäumen trat zunehmend in den Vordergrund. Das gegenständliche Forschungsprojekt soll an all diesen Lücken an Wissen und Erfahrung ansetzen und neue Erkenntnisse liefern. Im Mittelpunkt stehen Forschungsfragen wie die nach der Dimension von Wasserrückhalt im Starkregenfall und Wasserspeicherung in Trockenperioden, nach der Baumvitalität in den verschiedenen Phasen des Baumlebens, nach einer Beurteilung der Relevanz von verschiedenen Teilen oder Teilprozessen im Gesamtsystem oder nach harten Kriterien für die Funktionsfähigkeit der Bauweise in Anbetracht der vielen Freiheitsgrade in Planung und Ausführung.
Im Zuge des Forschungsprojekts wurden die Parkflächen beidseits eines Abschnitts im Leonhardgürtel basierend auf dem Schwammstadtsystem umgeplant und neu gestaltet. Hierfür kamen drei verschiedene Baumarten für Neupflanzungen zum Einsatz, während bei vier Bestandskastanien eine Wurzelraumfreilegung und anschließende Sanierung mit Schwammstadtsubstrat und Baumsubstrat durchgeführt wurde. Ein Arbeitspaket diente der bodenhydrologischen Untersuchung verschiedener Feinsubstratmischungen aus Rohkomponenten mit anschließender Auswahl einer zur Umsetzung gelangenden Mischung. Eine weitere Besonderheit stellen die vielfältigen Typen von Einzugsgebietsflächen dar, deren anfallendes Oberflächenwasser auf diverse Arten in das Schwammstadtsystem eingeleitet wird. In diesem Zusammenhang wurde mittels einer im Zuge des Projekts entwickelten „Auslauf-Box" eine Differenzierung zwischen dem ersten Spülstoß und saubererem, nachströmenden Oberflächenwasser mitgedacht und kombiniert mit Bodenfilterbecken ausgeführt, wodurch Bodenfilterbecken kleiner ausgeführt werden können. Auch die hier praktizierte direkte Einleitung von Dachwasser des benachbarten Wohnhauses ins Schwammstadtsystem ist von keinem anderen Projekt bekannt.
Neben den Besonderheiten in der Planung und Ausführung des Schwammstadtsystems an sich, ist vor allem das umfangreiche begleitende Monitoringsystem hervorzuheben, das im Zuge der Planung ständig mitgedacht und während der Umbauarbeiten in enger Absprache mit den Ausführenden Schritt für Schritt installiert wurde. Diese installierte Mess-Sensorik zielt auf die Beobachtung der Wurzelausbreitung, der Baumentwicklung, sowie der Dynamik des Zuflusses, der Verteilung, der Speicherung und des Abflusses des Wassers ab. Mit dem Ziel, einen überschaubaren Abschnitt des gesamten Standorts besser und höher aufgelöst zu betrachten, wurde der Südbereich des Leonhardgürtels West mit vier Bäumen als Hauptmessbereich definiert (ca. 5 x 32 m), in dem eine größere Anzahl an Sensoren zum Einsatz kam.
Nach den ersten beiden Beobachtungsjahren war bereits eine beginnende Einwurzelung der Neupflanzungen in das Schwammstadtsubstrat zu erkennen. Die Daten zeigen zudem deutlich, dass die Anwuchspflege mit regelmäßigen Gießgaben zur Befeuchtung des Pflanzballens in den ersten Jahren essenziell für ein gutes Anwachsen und die Vermeidung von Trockenstress ist. Die Neupflanzungen zeigten bereits unterschiedlich starke Stammzuwächse, wobei dies vor allem mit der direkten Ballenumgebung, wie Volumen des umgebenden Baumsubstrats zusammenhängen dürfte. Die Bestandsbäume scheinen die Wurzelfreilegung und anschließende Wurzelraumsanierung gut überstanden zu haben und beginnen bereits messbar diesen neuen und verbesserten Wurzelraum zu erschließen.
Dachwasser stellt grundsätzlich eine wertvolle Ressource für die Direkteinleitung in die Schwammstadt dar, fällt sehr rasch und der Niederschlagsganglinie folgend an und hat das Potenzial, bei einem durchdachten Verteilsystem häufig, also auch bei kleineren Niederschlagsereignissen, und in ausreichender Quantität Wasser für die Wiederauffüllung des Bodenwasserspeichers im Schwammstadtsubstrat zur Verfügung zu stellen. Im beobachteten Tiefbeet konnte nur bei sehr starken Niederschlagereignissen ein messbarer Wasserstand aufgezeichnet werden. Straßenwasser hat neben dem Nachteil der stärkeren Verunreinigung auch den Nachteil, dass die Abflusswege im Straßenverkehr und möglichen Umbaumaßnahmen leicht beeinflusst und abgewandelt werden können.
Aus der Synthese all dieser Beobachtungen lassen sich wertvolle Schlüsse ziehen, welche Elemente des komplexen Gesamtsystems besonders relevant sind und in welcher Phase seiner Lebensdauer diese maßgeblich beeinflusst werden. Vor allem ein zuverlässiges Verteilsystem, welches das anfallende Niederschlagswasser in Richtung der Baumwurzeln verteilen soll, ist ein kritischer Bestandteil des Systems Schwammstadt für Bäume. Damit in Zusammenhang steht die Abstimmung des angeschlossenen Einzugsgebiets (EZG) hinsichtlich Wassermenge und -qualität mit den Kapazitäten des gebauten Systems. Letztere konnten aufgrund mangelnder Erfahrungswerte nur grob abgeschätzt werden, die Messwerte aus dem Monitoring bestätigten die Planung im Wesentlichen, belegen die Funktion jedoch mit wesentlich belastbareren Zahlen.
Somit kann festgestellt werden, dass nach der Projektlaufzeit, die nur einen kurzen Zeitraum am Anfang der hoffentlich langen Lebensdauer der neuen Baumstandorte umfasst, bereits viele Erkenntnisse im Sinne der Projektidee gewonnen wurden. Die Bäume werden nun langsam in die Etablierungsphase übergehen, in der sie das Schwammstadtsubstrat mit ihren Wurzeln erschließen. Auch diese Phase wurde bisher noch nicht im Realmaßstab wissenschaftlich begleitet, eine Weiterführung der Messungen soll vielversprechende Einblicke liefern. Aufbauende Projekte wurden bereits konzeptioniert und sollen diese Weiterführung sicherstellen. Ist dies gegeben, kann das Mess-Setup modifiziert werden, um die in der jeweiligen Phase relevantesten Teilfragen adäquat zu beantworten.
Publikationen
Entwicklung und Evaluierung von multifunktionalen Stadtbaumstandorten in Bestandsstraßen (MUFUWU–Stadtbaum)
Das Schwammstadtprinzip für Bäume in der Bestandsstadt
Schriftenreihe
39/2024
D. Zimmermann, A. Zeiser, M. Lecko, T. Weninger, S. Rath, S. Schmidt, E. Murer, P. Knappitsch, R. Luger, T. Oberrauter, T. Roth
Herausgeber: BMK
Deutsch, 79 Seiten
Downloads zur Publikation
Projektbeteiligte
Projektleitung
3:0 Landschaftsarchitektur Ingenieurbüro für Landschaftsarchitektur und Städtebau, Unternehmenspartner
Projekt- bzw. KooperationspartnerInnen
Verein Landschafft Wasser, Wissenschaftlicher Partner
Kontaktadresse
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