Aspekte der zukünftigen Kernenergienutzung
Inhaltsbeschreibung
Die aktuelle Diskussion um die Reduktion von Treibhausgasen und die Reduktion der Abhängigkeit der Industriestaaten von Öl- und Gasimporten hat die mediale Präsenz der Atomkraft in letzter Zeit erhöht. Nach einer langjährigen Phase des Schweigens und Vergessens, welche auf die Katastrophe von Tschernobyl hin folgte, sind nun Stimmen zu vernehmen, welche die Atomkraft als mögliche Lösung der sich abzeichnenden Klima- und Ressourcenkrisen anbieten.
Im Sinne einer umfassenden Technologieanalyse und -bewertung sind zahlreiche Dimensionen der Atomkraftnutzung zu betrachten, um schlussfolgernd Aussagen über die Zukunftsfähigkeit der Technologie und über deren Bedeutung für die Entwicklung nachhaltiger Energie- und Gesellschaftssysteme treffen zu können. Die wesentlichen Fragen, welche sich in diesem Zusammenhang stellen, wurden in der vorliegenden Studie detailliert aufgearbeitet:
- Kann die Kernenergienutzung so rasch ausgebaut werden, dass sie einen relevanten Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen leisten kann?
- Wie wirtschaftlich ist die Kernenergienutzung langfristig?
- Wie lange reichen die Uranreserven?
- Ist die Frage der Endlagerung von radioaktiven Abfällen gelöst?
- Wie ist das Sicherheitsrisiko aus der Kernkraftnutzung heute zu sehen?
- Welche Kostenrisiken von Atomkraftwerken können abgedeckt werden?
- Wie ist die demokratiepolitische Relevanz einzuschätzen?
- Ist die neue Generation von Kernkraftwerken anders?
- Sind die für einen Ausbau der Kernenergienutzung nötigen human capacities (Fachleute, Techniker) verfügbar?
Schlussfolgerungen
Von einer "Renaissance der Atomkraft" kann heute nicht gesprochen werden. Der momentane Neubau von Atomkraftwerken reicht mittelfristig nicht einmal aus, um die aus Altersgründen abzuschaltenden Anlagen zu ersetzen. Die Atomindustrie ist angesichts dieser Situation sehr bemüht, das Image einer aussterbenden Technologielinie abzuwenden und argumentiert mit zeitgemäßen Aspekten wie dem Klimaschutz. Bei näherer Betrachtung erweist sich dieses Argument jedoch als nicht haltbar. Einerseits ist Atomstrom keineswegs CO2-neutral, andererseits verhindert bereits die große Trägheit der Technologiediffusion einen effektiven Klimaschutz. In marktwirtschaftlich agierenden Demokratien kommt es nur noch in Sonderfällen zum Neubau von Atomkraftwerken. Die Kostenstruktur von Atomkraftwerken ist aufgrund des exorbitanten Kapitalbedarfs nicht kompatibel mit den Randbedingungen von liberalisierten Strommärkten. Marktwirtschaftlich attraktiv ist hingegen die Laufzeitverlängerung von abgeschriebenen Anlagen, welche nicht nur große Gewinne für die Betreiber mit sich bringt, sondern auch ein erhöhtes gesellschaftliches Risiko durch den Betrieb von überalterten Anlagen. Das Risiko aus dem Betrieb von Atomkraftwerken wird aufgrund von internationalen Haftungsbeschränkungen, ohne derer die Atomkraftnutzung gar nicht möglich wäre, von der Gesellschaft getragen. Das Risiko hat dabei zahlreiche Dimensionen wie die radioaktive Freisetzung im Regelbetrieb (Uranbergbau, Wiederaufbereitung, Zwischenlagerung, Endlagerung) und bei katastrophalen Unfällen (z.B. Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986) sowie die Bedrohung der Standortregionen im Fall von Terrorismus und Krieg.
Wirtschaftlich attraktiv werden Atomkraftprojekte erst, wenn ein großer Teil der Kosten durch den Steuerzahler getragen wird. Dies geschieht beginnend bei der staatlichen Propaganda zur "Meinungsbildung", die zur Durchführung von entsprechenden Projekten erforderlich ist, durch staatlich subventionierte Kredite und staatliche Ausfallshaftungen, Industriedumping und Überwälzung der Unfallhaftung auf die Gesellschaft. Nicht zuletzt werden die Probleme und Kosten ignoriert, welche für tausende zukünftige Generationen im Zusammenhang mit der Endlagerung der atomaren Abfälle erwachsen.
Die Motive von Staaten, die sich nach wie vor im Bereich der Atomkraft engagieren, können nach Abwägung aller wirtschaftlichen, versorgungstechnischen oder gar ökologischen Aspekte nur im Bereich des strategischen militärischen Interesses, der Machtdemonstration oder an mangelhaften Alternativen zur Stromproduktion liegen. Bei Sonderfällen wie Frankreich mit einem großen Bestand an Atomkraftwerken und einer einflussreichen Industrielobby sind viele Mechanismen zur Systemerhaltung wirksam, welche einen Ausstieg aus der Atomkraftnutzung zurzeit verhindern.
Die Nutzung der Atomkraft ist, wie dies auch bei der Nutzung fossiler Energieträger der Fall ist, an beschränkt verfügbare Ressourcen (Uranerz) gebunden. Die Reichweite dieser Ressourcen ist bei gleichbleibendem heutigem Verbrauch mit 60 bis 70 Jahren zu beziffern, bei einem Ausbau der Atomkraft entsprechend kürzer. Die Brütertechnologie, welche eine bessere Ressourcenausnutzung ermöglichen würde, konnte sich bis heute nicht durchsetzen und birgt im Zusammenhang mit der damit verknüpften Plutoniumwirtschaft ein hohes gesellschaftliches Risiko.
Die Nutzung der Atomkraft stellt im Sinne der Entwicklung eines nachhaltigen Energie- und Gesellschaftssystems keine Option dar. Im Gegenteil. Die Nutzung der Atomkraft bindet sehr viel Kapital, welches im Bereich der Weiterentwicklung erneuerbarer Energieträger und der Energieeffizienz dringend benötigt werden würde und schafft alleine durch den regulären zivilen Betrieb von Reaktoren durch radioaktive Freisetzung und kumulierenden Atommüll eine ungeheuerliche Hinterlassenschaft. Damit ist die Nutzung der Atomkraft nicht kompatibel mit den Anforderungen an nachhaltige Energie- und Gesellschaftssysteme und muss als zukunftsfähiger Lösungsansatz zur Energieversorgung verworfen werden.
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Aspekte der zukünftigen Kernenergienutzung
Schriftenreihe 53/2008
P. Biermayr, R. Haas, Herausgeber: BMVIT
Deutsch, 109 Seiten
Downloads zur Publikation
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P. Biermayr, R. Haas, Herausgeber: BMVIT
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Dr. Peter BiermayrEnergy Economics Group
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