AnergieUrban Leuchttürme: Rechtliche, organisatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Anergienetze mit Erdsonden im urbanen Raum anhand konkreter Pilotprojekte

Für die Umsetzung der Energiewende gemäß der österreichischen Klimaziele bedarf es neuer Lösun-gen für die Bereitstellung von Heizwärme und Warmwasser in der bebauten Stadt. Die aktuellen geo-politischen Rahmenbedingungen unterstreichen die Wichtigkeit eines raschen Umstiegs auf eine nachhaltige, unabhängige Energieversorgung. Die Nutzung lokal verfügbarer, erneuerbarer Wärme-quellen in Verbindung mit saisonalen Erdspeichern stellt eine Lösung zur nachhaltigen Heizung und Kühlung von Gebäuden dar.

Kurzbeschreibung

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde in den 3 Pilotgebieten

  • Stadterneuerungs-Programm WieNeu+: Blocksanierungsgebiet Gudrunstraße II und Häuser-block „Van der Nüll Gasse" in 1100 Wien,
  • Stadtentwicklungsgebiet Linz-Ebelsberg in Linz und
  • Häuserblock Miesbachgasse/Leopoldsgasse/Malzgasse/Ob. Augartenstraße in 1020 Wien

der Aufbau von Anergienetz-Startzellen initiiert und begleitet. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurden Empfehlungen für rechtliche, organisatorische und sozio-ökonomische Rahmenbedingungen ausgearbeitet, welche die Umsetzung von Anergienetzen im Bestand fördern. Dieser Prozess und die Erfahrungen daraus werden im vorliegenden Bericht dokumentiert und sollen als Unterstützung für nachfolgende Projekte dienen.

Am weitesten fortgeschritten ist das Pilotprojekt „Miesbachgasse" in 1020 Wien, hier wurde eine Anergie-Startzelle mit vier Gebäuden etabliert. Zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (Herbst 2022) werden Angebote von Unternehmen für die Errichtung der technischen Anlagen und für den Betrieb eingeholt. Für die Pilotprojekte „Stadtentwicklungsgebiet Linz-Ebelsberg" und „WieNeu+ - Blocksanierungsgebiet Gudrunstraße II sowie Häuserblock Van der Nüll-Gasse 20" wurden Wärmebilanzen erstellt und mit den Gebäudeeigentümer:innen Konzepte für eine Anergienetz-Startzelle erarbeitet.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich während der Projektdauer durch den Preisanstieg von Erdgas und Strom, durch die Unsicherheit der Energieversorgung und durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine massiv verändert. Während 2021 für Gebäudeeigentümer:innen noch (Voll-)Kostenvergleiche zwischen Erdgasheizung und Anergienetz-Wärmepumpenheizung wichtig waren, liegt seit 2022 der Fokus auf der Frage, wie Investitionskosten finanziert und passende Betreibermodelle entwickelt werden können, da der Wunsch nach einer Unabhängigkeit von Erdgas dringlicher geworden ist.

Einen besonders wichtigen rechtlichen Rahmen für Anergienetze stellt das geplante Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) dar. Durch das vorgesehene Phase-Out von Erdgas bis 2040 sowie dem Verbot von Erdgasheizungen im Neubau ab 2023 ändert sich die Bedeutung von Anergienetzen – von einem Nischensegment hin zu einem breit nachgefragten Versorgungskonzept im urbanen Raum. Ebenfalls bedeutend sind das Mietrechtsgesetz (MRG) und das Heizkostenabrechnungsgesetz (HeizKG). Diese regeln die Verteilung der anfallenden Investitions- und Betriebskosten. Relevant sind auch die Regelungen der Stadtverwaltung zur Nutzung öffentlicher Flächen für Erdwärmesonden und Grundwasserbrunnen.

Da die Dekarbonisierung des Heizsystems lange Vorlaufzeiten erfordert, sollen Hauseigentümer:innen möglichst zeitnahe Umstiegskonzepte inkl. Zeitplan für ihre Gebäude ausarbeiten. Dafür sollten verbindliche Fristen, eventuell gestaffelt nach der Höhe des spezifischen Heizenergiebedarfs (HEB) der Gebäude geschaffen werden. Durch ein Umstiegskonzept können notwendige Anpassungsarbeiten im Haus wie Zentralisierung der Wärmeleitungen, Installation eines Niedertemperatursystems oder Wärmedämm-Maßnahmen langfristig geplant, mit anderen Bauarbeiten im Haus kombiniert und dadurch Kosten gespart werden.

Wie entstehen Anergie-Startzellen?

Es hat sich gezeigt, dass es zur Bildung einer Anergienetz-Startzelle Impulsgeber braucht. Dies kann z.B. ein/e Eigentümer:in einer Liegenschaft sein, die Kontakt mit den Nachbarliegenschaften aufnimmt und diese Gruppe dann selbst den Aufbau einer Anergienetz-Startzelle organisiert. Der Impuls kann aber auch von ausführenden Unternehmen im Rahmen deren Akquisetätigkeit ausgehen. Da es aktuell eine hohe Nachfrage an nachhaltigen Heizsystemen mit nur einer/m einzelnen Eigentümer:in gibt, engagieren sich ausführende Unternehmen kaum bei der Initiierung von liegenschaftsübergreifenden Anergienetzen, welche aufgrund der höheren Anzahl an involvierten Parteien einen deutlich höheren Akquiseaufwand aufweisen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass unabhängige Beratungsorganisationen Anergienetz-Startzellen initiieren und diese bis zum Vertragsabschluss mit einem ausführenden Unternehmen begleiten. Die Kosten dafür könnten entweder von der öffentlichen Hand oder von den Gebäudeeigentümer:innen getragen werden.

Nach den aktuellen Regelungen haben die Hauseigentümer:innen meist die hohen Anfangsinvestitionskosten zu tragen, während die Heizkostenersparnisse den Mieter:innen zugutekommen. Damit künftig verstärkt Anergienetz-Startzellen entstehen, müssen Anreize geschaffen werden, um diesen Interessenskonflikt zu lösen. Solche Anreize könnten z.B. Zu- und Abschläge auf den Richtwert-Mietzins sein, die auf Basis der zu erwartenden Heizkosten ermittelt werden oder eine Warmmiete nach dem sogenannten „Schwedischen Modell", bei dem auch das Nutzer:innenverhalten berücksichtigt wird. Weiters wird eine „Duldungspflicht" für den Anschluss an ein fossilfreies Heizsystem wie ein Anergienetz empfohlen, wenn sich die Heizkosten für den/die Bewohner:in dabei nicht erhöhen.

Betreffend der öffentlichen Flächen wird empfohlen, die Gehsteige und Parkierungsstreifen an den angrenzenden Häusern für die Installation von Erdsonden als saisonale Wärmespeicher unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Künftig wird die Wärmeversorgung im urbanen Raum großteiles durch Fernwärmenetze und Anergienetze mit Wärmepumpen erfolgen. Dabei bestehen in mehrerer Hinsicht Synergien zwischen den beiden Systemen. Zum einem können fernwärmeversorgte Häuser künftig im Sommer energiesparend mit den Erdsonden benachbarter Anergienetze kühlen und die Sonden gleichzeitig regenerieren. Zum anderen kann bei größeren Gebäuden die Wärmeversorgung derart aufgeteilt werden, dass die Raumwärme (Niedertemperatur) durch Anergienetze mit Wärmepumpen und das Warmwasser (mit rund 60 °C) durch die Fernwärme bereitgestellt wird. Damit wird die Gesamteffizienz des Heizsystems erhöht, allerdings erhöht sich auch der Aufwand bei der technischen Umsetzung und der Abrechnung. Weiters ist die Kopplung der beiden Systeme sinnvoll, wenn die Wärmequellen der Fernwärme stark schwanken (z.B. bei Kraft-Wärmekopplung in Kombination mit Wind und PV-Strom) und die beiden Systeme sich gegenseitig bei der Deckung der Lastspitzen ergänzen. Darüber hinaus können Wärmeüberschüsse im Fernwärmenetz (z.B. im Sommer) in den Erdwärmesonden eingelagert und im Winter zum Heizen verwertet werden.

Umfasst ein geplantes Anergienetz sowohl Bestandshäuser wie auch Neubauprojekte, so können auf der gesamten Liegenschaft des Neubauprojekts kostengünstig Erdwärmesonden errichtet werden, die mehr Kapazitäten haben als das neue Gebäude benötigt. Der Überschuss an Erdwärmesondenkapazität kann dann für die benachbarten Bestandsgebäude verwendet werden, welche selbst keinen Platz für Erdwärmesonden haben oder bei denen die Errichtung mit hohen Kosten verbunden wäre.

Hinsichtlich der Förderung von Anergienetzen können derzeit größere Contractoren nicht als Fördernehmer auftreten, da sie die Bedingungen der „Deminimis-Beihilfen-Regelung" nicht erfüllen. Entsprechend den aktuellen Förderbedingungen muss jede/r einzelne Gebäudeigentümer:in eines Anergienetzes einen eigenen Förderantrag stellen, was einen hohen bürokratischen Aufwand bedeutet. Zukünftig sollten Förderprogramme so gestaltet sein, dass auch Contractoren stellvertretend für die Gruppe der Gebäudeeigentümer:innen eines Anergienetzes als Fördernehmer auftreten können.

Publikationen

AnergieUrban Leuchttürme: Rechtliche, organisatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Anergienetze mit Erdsonden im urbanen Raum anhand konkreter Pilotprojekte

Für die Umsetzung der Energiewende gemäß der österreichischen Klimaziele bedarf es neuer Lösun-gen für die Bereitstellung von Heizwärme und Warmwasser in der bebauten Stadt. Die aktuellen geo-politischen Rahmenbedingungen unterstreichen die Wichtigkeit eines raschen Umstiegs auf eine nachhaltige, unabhängige Energieversorgung. Die Nutzung lokal verfügbarer, erneuerbarer Wärme-quellen in Verbindung mit saisonalen Erdspeichern stellt eine Lösung zur nachhaltigen Heizung und Kühlung von Gebäuden dar. Schriftenreihe 46/2022
G. Bayer, B. Pfefferer, G. Götzl, M. Fuchsluger, A. Schriebl, S. Hoyer, R. Kalasek, T. Brus, J. Zeininger
Herausgeber: BMK
Deutsch, 127 Seiten

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Projektbeteiligte

Projektteam

  • Bianca Pfefferer MSc, DI Gerhard Bayer
    Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT)
  • Mag. Gregor Götzl, DI Martin Fuchsluger, Mag. Stefan Hoyer, DI Alexander Schriebl
    Geologische Bundesanstalt (GBA)
  • Dipl.-Ing. Robert Kalasek, Thomas Brus
    Technische Universität Wien, Institut für Raumplanung
  • Arch. Johannes Zeininger
    zeininger architekten

Mit Unterstützung von

  • Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK)
  • Stadt Wien, MA 20 Energieplanung
  • Österreichischer Städtebund