2. Lebenszyklusdenken
2.1 Was bedeutet Lebenszyklusdenken in Unternehmen?
Die Erkenntnis, dass Schutz und Erhaltung der Umwelt langfristig nur durch einen Paradigmenwechsel der sozialen und ökonomischen Entwicklung gewährleistet werden kann, hat zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung geführt. Der im Jahre 1987 veröffentlichte "Brundtlandt Bericht" unter dem Titel "Our Common Future" beinhaltet die zentrale Aussage, dass eine nachhaltige Entwicklung (sustainable development) Grundlage des Wirtschaftens werden muss. Ein ähnliches Ziel verfolgt die Agenda 21. Sie wurde in Rio de Janeiro bei der "UN-Conference on Environment and Development" von mehr als 120 teilnehmenden Staaten verabschiedet.
Eine Umsetzung der Agenda 21 auf Unternehmens-Ebene stellt das EMAS-System dar. Es beruht auf der EG-Verordnung 1836/93 und bietet eine europaweit einheitliche Basis für die Einführung von Umweltmanagementsystemen (UMS). Die EMAS-Verordnung ist damit ein wesentliches marktorientiertes Instrument des 5. Umweltaktionsprogrammes der Europäischen Union. Sie soll hier auch den bislang verfolgten gesetzlichen Reglementierungen ein Gegengewicht auf Basis der Eigeninitiative der Betriebe setzen. Wesentliche Ziele sind hierbei die "kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes", die "Verpflichtung zur Einhaltung der Rechtsvorschriften" und die "Kommunikation mit der Öffentlichkeit".
Zentraler Betrachtungsrahmen aller Aktivitäten im Rahmen der EMAS-VO ist der Betrieb, die Erhebungen konzentrieren sich somit weitgehend auf sogenannte "Firmentor-Bilanzen (gate to gate)". Als Belastungen werden jene Ströme betrachtet, die von der betrachteten Firma bzw. ihren Aktivitäten ausgehen. Belastungen, die von Tätigkeiten außerhalb des Firmengeländes ausgehen, werden nur fallweise betrachtet. So werden in vielen Fällen die Belastungen durch den Transport einbezogen, jene, die bei der Bereitstellung der benötigten Energie oder der Entsorgung anfallen, nur mehr in vereinzelten Fällen. Belastungen bei der Herstellung von Vorprodukten werden überhaupt nur in den seltensten Fällen inkludiert. Betrachtet man aber nur den Betrieb oder den Herstellprozess des Endproduktes, so vernachlässigt man alle Belastungen, die bei der Herstellung der benötigten Rohstoffe und der Energie anfallen, sowie auch jene, die beim Gebrauch und bei der Entsorgung auftreten.
Einen derartigen umfassenden Betrachtungsrahmen stellt die Ökobilanz im Rahmen der Lebenzyklusanalyse (Life Cycle Assessment, LCA) dar. Sie verfolgt den Weg der Rohstoffe zurück bis zu ihrer Entnahme aus der Natur, die Produktion und die Produkte während ihrer Nutzungsdauer und darüber hinaus die Entsorgung ("from cradle to grave"). LCAs sind in der Regel aber auf den Vergleich von einzelnen Produkten zur Erfüllung der gleichen Funktion beschränkt. Sie eignen sich in dieser Form nur bedingt zur Betrachtung der ökologischen Eigenschaften einer Gruppe von Materialien, wie sie typischerweise als Produktpalette bei Firmen auftreten. Einer breiten Anwendung stehen aber auch die beschränkte Gültigkeit der Ergebnisse nur für den untersuchten Fall entgegen. Die Anwendung von Life-cycle-thinking im Management (Life-cycle-Management) erfordert daher einfache und pragmatisch handhabbare Wege, um mit verfügbaren Daten die Betrachtung von Standortbilanzen aus auf den Lebenszyklus auszudehnen.
Umweltbezogene Fragestellungen bzw Entscheidungen werden in Unternehmen zunehmend in systematische Programme (wie zB Umweltmanagementsysteme) integriert. Diese orientieren sich an Leitbildern und Konzepten wie
- Lebenszyklusdenken (Life Cycle Thinking)
- Life Cycle Management (LCM)
- erweiterter Produktverantwortung
- Design for Environment (DfE)
- Cleaner Technology
- Dematerialisierung
- Öko-Effizienz
- Industrielle Ökologie.
Entscheidungsprozesse in Unternehmen benötigen als Entscheidungsgrundlage und für ihre Umsetzung analytische und prozedurale Instrumente (Tools), welche wiederum unterschiedliche technische Elemente beinhalten und eine Vielfalt von Daten erfordern können. Diese Zusammenhänge sind in der folgenden Abbildung veranschaulicht.
2.2 Welche Rahmenbedingungen spielen eine Rolle?
Umweltbezogene Entscheidungen in Unternehmen können unterschiedliche Objekte/Tätigkeitsfelder zum Gegenstand der Betrachtung haben, wie zB Stoffe oder Materialien, Produkte oder Dienstleistungen, Prozesse oder Technologien, Abfallströme, Aktivitäten oder Projekte, Infrastruktur oder Standorte.
Angestrebter bzw möglicher Optimierungsgrad, Wichtigkeit und Komplexität des betrachteten Systems spielen dabei ebenso eine Rolle wie Erwartungen, Einflussmöglichkeiten, Häufigkeit der Entscheidung, dazu nötige Entscheidungsschritte und kultureller Kontext. Diese Rahmenbedingungen bestimmen die Anforderungen an die zum Einsatz kommenden Tools (PUIS) maßgeblich mit.
Die jeweiligen Entscheidungen werden idR von unterschiedlichen Abteilungen bzw Personen getroffen, wenngleich es Wechselwirkungen zwischen Entscheidungsarten und Abteilungen gibt. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung etwa beschäftigt sich hauptsächlich mit Design- und Entwicklungsfragen, welche sich an der F&E-Strategie orientieren, die von der Geschäftsführung im Tätigkeitsfeld "Strategische Planung" aufgestellt wurde. Die Entwicklung eines neuen Produktes erfordert möglicherweise Investitionen in neue Produktionstechnologien sowie einen Marketingplan (Tätigkeitsfeld "Kommunikation und Marketing").
Die Erwartungen/Ansprüche der EntscheidungsträgerInnen können sich auf die Erfüllung der gesetzlichen Ansprüche beschränken, aber auch darüber hinaus auf kontinuierliche Verbesserungen oder proaktive Innovationen abzielen. Je höher die Erwartungen sind, desto geringer werden die Budget-Einschränkungen ausfallen.
Einschätzungen, Werte und Vorlieben von AkteurInnen beeinflussen Entscheidungen und können sich uU stark voneinander unterscheiden. Die Meinungen und Haltungen von Stakeholdern sowie die politische Sensitivität der Entscheidung haben Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Je nachdem, ob es sich um einen Entscheidungsprozess mit bereits abgestimmten (und ev gewichteten) Kriterien oder einen solchen mit möglicherweise differerierenden Kriterien handelt, werden unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen.
Das mögliche, aber auch das gewünschte Ausmaß einer angestrebten Optimierung können stark variieren. Die Bandbreite reicht dabei von kleinen schrittweisen Verbesserungen bestehender Produkte bis hin zu großen Systeminnovationen, die technische Innovationen erfordern und eventuell auch Änderungen in Konsumstilen und/oder Infrastruktur bedingen.
Die Wichtigkeit des betrachteten Systems bestimmt maßgeblich, wie drastisch die zu erwartenden Auswirkungen auf Ökologie, Ökonomie und soziale Gegebenheiten ausfallen. Die Komplexität eines ev Systemwechsels ist abhängig von der Anzahl von Subsystemen und deren gegenseitigen Abhängigkeiten. Bei großer Bedeutung für den Betrieb und für notwendig scheinende komplexe Systemwechsel ist mit geringeren Budget-Einschränkungen zu rechnen.
Die Einflussmöglichkeiten innerhalb der Prozess/Produkt/Lieferanten-Kette unterschieden sich je nach Branche deutlich, können aber auch innerhalb einer Branche stark variieren. Komplexere PUIS kommen prinzipiell nur für Entscheidungsträger mit mehr Einfluss in ihrem Netzwerk bzw Kette in Frage.
Die Häufigkeit einer Entscheidung bestimmt wesentlich den vertretbaren Aufwand, um die erforderlichen Informationen zu erlangen. Die Bandbreite reicht von regelmäßigen Routine-Entscheidungen bis zu einmaligen Einzelentscheidungen. Für Routine-Entscheidungen sind billige standardisierte Analysen von großer Bedeutung; die Investitionen in ein bestimmtes Tool erfolgten dabei schon früher. Für Einzelentscheidungen sind vergangene Entwicklungen weniger relevant, sondern es ist eine fallspezifische Detaillierung von Methoden erforderlich. Falls Budget-Limits dies nicht zulassen, ist jedenfalls die Verwendung des besten verfügbaren Routine-Tools angezeigt.