Psychologie und Energie-PR, Energiesparen als optimale Vermittlung nachhaltigen Bauens und Wohnens

Klärung und PR-mäßige Neubewertung des Themenfeldes "Energie/Energiesparen" als Chance, NutzerInnen und Marktkräfte ruhig und sachlich zu studieren und durch zuerst vertiefte und dann verbreiterte Kommunikation geeignete Begriffe und Entwicklungsanreize zu entwickeln

Inhaltsbeschreibung

Status

abgeschlossen

Kurzfassung

Haben Sie je im Winter auf der Ofenbank einer Schihütte in den Alpen gesessen? Wenn ja, dann ist behagliche Wärme für Sie eine bleibende eigene Erfahrung. Sinnlich erfahrbar ist - draußen vor der Hütte ohne dicken Pullover und neben dem Ofen im dicken Pullover - dass es ein Wärmeoptimum des Menschen gibt und an seinen Rändern ein "zu kalt" und ein "zu heiß". Warum ist dann gerade das Wärme und Energiethema so schwierig darstellbar, warum mühen sich Techniker, Energie und Umweltexperten oft vergeblich ab, ihre fachlichen Einsichten populärwissenschaftlich umzusetzen? Warum sollte nun ein eigenes interdisziplinäres Projekt von "Haus der Zukunft" Energieoptimierung und seine Vermittlung per Public Relations für nachhaltiges Bauen und Wohnen studieren?

Die Grundthese dieses Projekts lautet: Wärme, Heizung, erlebbare Energie ist ein psychisch so grundlegendes und tiefsitzendes Phänomen, eine an Worten arme Gefühls- und Körpererfahrung, dass der historisch späte Energiebegriff und die physikalisch-technischen Abstraktionen zu seiner Berechnung und Hantierung sozial nur geringe Wirkung zeigen. Gefühlsmäßig werden manche Formen von Wissenschaft und Ingenieurleistungen sogar selbst als "kalt" bezeichnet. Zwischen dem warmen Ofenplatz und seiner Abbildung als messtechnischer Wärmeinsel im Infrarot-Strahlungsfeld klaffen Welten.

Wenn dann die haustechnische Ursache für warme oder kalte Füße auch noch kompliziert verrechnet, in einer Gesamtbetriebskostenrechnung versteckt auftritt und größenmäßig unterhalb der monatlichen Handyrechnung liegt, dann fruchten ökologische, städtebauliche oder kulturelle Appelle wenig. Was in der Schihütte, am Lagerfeuer sinnlich greifbar ist, gerät im bauphysikalischen Dickicht moderner Wohnformen zum Phantom und löst sich auf.

Alle Teilprojekte der vorliegenden Studie ergeben zusammengefügt die Aussage, dass "Energiesparen" nicht die Basis für eine nachhaltige Wirtschaftsstrategie des Wohnens liefert, sondern einer erlebbaren, also erlebens- und sinnesnahen Verankerung bedarf. Jedes produktive Lernen besteht aus dem Zusammenwirken von Gedanken und Gefühlen. Im Bereich Energie ist es nicht anders. Da es sich bei den Entscheidungen im Wohnbereich um sehr komplexe handelt, ist umso mehr das orientierende Gefühl gefragt, das -wie bei einem Markenartikel- zu einer persönlichkeitsadäquaten Lösung führt, nicht zu einem Kompromiß zwischen nicht näher verstandenen Denkgebilden.

Die vorliegende Untersuchung hat die Thematik der Energie-PR auf verschiedenen Ebenen betrachtet: In einer vergleichenden Literaturanalyse, durch explorative Interviews, in zwei Gruppendiskussionen zwischen Experten und Nutzern, durch die Evaluation gängiger PR-Materialien von Staat und Wirtschaft, mittels Delphi-Expertenbefragung und in praktischer Kooperation mit einem Passivhausprojekt in Oberösterreich und einem Projekt der TU Wien.

Elke Döring-Seipel (2000, 605) weist zu Recht darauf hin, "dass umschreibbare Umweltsituationen - Orte - emotionale Qualitäten annehmen und dass diese emotionale Qualität von Orten eine Schlüsselrolle für das Verständnis von Mensch-Umwelt-Beziehungen spielt." Wohnen und Bauen ist vor diesem modernen psychologischen Hintergrund keine primär kognitiv-technische, sondern eine emotional-soziale Aufgabe. An der real existierenden Energie-PR zu Bauen und Wohnen kann daher kritisiert werden, dass sie zu denklastig, zu intellektuellargumentiert, und damit quasi auf dem falschen Fuß steht.

Was würde geschehen, wenn der Betreiber eines Wiener Würstelstandes auf die Idee verfiele, seinen potentiellen Kunden hauptsächlich technische Details über die Produktion und Zubereitung seiner Ware anzubieten? "Hygienisch gestopft, gegrillt auf unserem Hochleistungsherd" - läuft Ihnen bereits das Wasser im Mund zusammen? Wohl ebensowenig, wie technische Laien die Information über effiziente Krankollektoren oder schichtverleimte Verbundwerkstoffe emotional anspricht. Ein Sich-Anlehnen an eine schlecht und an eine gut gedämmte Wand bei winterlichen oder sommerlichen Außentemperaturen sagt mehr als mysteriöse K und U-Werte. So sollte auch beim Passivhaus die Formel "15 kWh/qm/Jahr" erst nach dem eigenen Erleben des Raumklimas im Winter bei automatischer Belüftung mit Wärmerückgewinnung folgen, nicht vorab. Emotionen sind in komplexenSituationen etscheidungsnotwendig, weil sie Präferenzen bilden und individuell Sinn stiften. Persönliche Dienstleister wissen das.

Restaurants in Japan stellen ihr Menüangebot in künstlicher, aber appetitlicher Form an den Eingang; einheimische Chinarestaurants kleben z.T. Fotos ihrer Produkte in die Speisekarte. Sie tun sich leichter, da die Augen, die optische Wahrnehmung, für das Essen eine größere Rolle spielen als für das Wohngefühl. Einige Möbelhäuser sind bereits vom blossen Ausstellen ihrer Betten zum "Liegestudio" übergegangen, in dem Kunden proberuhen können. So wie ein Schi ebensowenig allein nach der Lackierung wie ein Bürosessel nach der Art der Polsterung gewählt wird, bedarf die Wahl der gewünschten Wohnqualität mehr als einiger sympathischer Fassadenfotos und lustig möblierter Grundrisse.

Die Betreiber von Fertighaus-Wohnparks nach Art der "Blauen Lagune" haben das richtig erkannt und stellen ihren Kunden begehbare, erlebbare 1:1-Modelle ihrer Produkte wahlweise zur Verfügung. Noch besser wäre allerdings ein "Probewohnen" in verschiedenen Wohntypen. Auch ein Pkw wird schließlich vor der Kaufentscheidung probegefahren.

Anders als die sinnlich wahrnehmbare Radioaktivität oder die unterschiedlich erfahrenen elektromagnetischen Wellen und Felder bietet Wärmeenergie beim Bauen und Wohnen den Vorteil, immer konkret in subjektive Empfindungen umsetzbar zu sein. Wirklichkeitsnahe Simulationen oder Probewohnen ersparen lange, vom Laien nicht nachvollziehbare Energiediskussionen. Verschiedene Wohntypen sind auf einer Exkursion an einem Nachmittag nacheinander erlebbar.

Das Projektteam empfiehlt drei Punkte zur Verbesserung von Energie-PR:

1. Emotionale Beziehung

Energielösungen müssen Markenqualität haben und langfristige Beziehungen ermöglichen. Gütesiegel oder Modullösungen gehen in die richtige Richtung, sind
aber emotional noch zu unverbindlich, weil sie keine Identifikation erlauben.

2. Alltägliche Realität

Energielösungen und -produkte müssen aus den Weiten der Physik und Technologie punktgenau im Alltag der Nutzer landen und dort Relevanz ergeben. Nicht jeder
Kunde ist ein abstraktionsfreudiger Erfindertyp. Vorteile und Nachteile bestimmter Lösungen sind in alltäglicher Sprache zu erklären.

3. Soziale Verankerung

Energielösungen passieren nicht individuell-exklusiv, sondern stehen in sozialen Zusammenhängen. Diese sind mitzudenken. Was werden die Nachbarn sagen?
Welche Meinungen sind bei einer Gruppendiskussion mit Freunden zu erwarten? Kommunizierbare und sozial sinnvolle Botschaften verbreiten sich auch ohne teure Werbung. Und: nicht alle sozialen Gefühle sind edel und konstruktiv.

Facit: Der Erfolg innovativer Sitzmöbel wurde ersessen, nicht rational erwogen.Volkstümlich heißt es dazu in Österreich: "Am Hintern hast' keine Aug'n". Auch gewohnt wird nicht nur im Kopf. Alltagsrelevante und ohne Matura verständliche Inhalte sind deshalb nicht "populistisch", sondern verankern die Energie- und Nachhaltigkeitsdiskussion dort, wo sie sich politisch und wirtschaftlich entscheidet - im mainstream, im Massenkonsum. Die "Diffusion von Innovation", also die Verbreitung neuer Techniken und Lösungen, ist erfolgreich, wenn sie nachvollziehbare Schritte, konkrete Beispiele anbietet. Staat und Politik sind weiterhin aufgerufen, wirtschaftliche Prozesse der Energienutzung per Rahmenbedingungen nachhaltig zu steuern und zu fördern. Dabei ist das Paradox "billiger" Energie und "teurer" Arbeit mitzudenken.

Downloads

Psychologie und Energie-PR, Energiesparen als optimale Vermittlung nachhaltigen Bauens und Wohnens

Schriftenreihe 14/2002 A. Keul
Deutsch, 88 Seiten, vergriffen

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Bibliographische Daten

Psychologie und Energie-PR, Energiesparen als optimale Vermittlung nachhaltigen Bauens und Wohnens?

Endbericht

Dr. Alexander Keul
In Zusammenarbeit mit: Mag. Eva Ruprechtsberger (PR Consulting Salzburg), Mag. Elisabeth Moser (AAI Salzburg)

Berichte aus Energie- und Umweltforschung 14/2002

Salzburg, 2002
88 Seiten

Projektbeteiligte

Projektleiter:
Dr. Alexander Keul

Partner:

Mag. Eva Ruprechtsberger
PR Consulting Salzburg

Mag. Elisabeth Moser
AAI Salzburg

Kontakt

Dr. Alexander Keul
(Ass.Prof. an der Universität Salzburg)
Angewandte Psychologie
Egger Lienz G. 19/8, A 5020 Salzburg
Tel/Fax: +43 (0)662 453689
E-Mail: alexander.keul@sbg.ac.at