Modellsysteme weisen den Weg in unsere Energiezukunft
Während Schweden national den Ausstieg aus dem fossilen Energiesystem betreibt, werden in Österreich Überlegungen zu Konzepten zur vollständigen Versorgung einzelner Gebiete mit erneuerbaren Energieträgern meist auf kommunaler Ebene angestellt. Dies entspricht auch dem Trend, regional vorhandene Ressourcen verstärkt zur Energieversorgung einzusetzen und z.B. alternative Stromerzeugung vor allem auf dezentrale Weise in das Stromnetz einzubinden.
Im Sommer 2005 stellten sich 22 Projekteinreicher:innen der 2. Ausschreibung des Programms zu den „Konzepten zur Initiierung und Vorbereitung von Modellsystemen“. Eine internationale Jury beurteilte nach einem zweistufigen Verfahren 11 Vorhaben mit einem gesamten Budget von etwa zwei Millionen Euro als finanzierungswürdig. Alle diese Vorhaben konnten mittlerweile gestartet werden.
Da eine Vielzahl von Projekten in diesem Bereich leider oft in der Schublade landet, gilt es für die Projekteinreicher schon frühzeitig umsetzungsrelevante Akteure einzubeziehen. Das können auf der Versorgerseite zum Beispiel Anlagenbauer und Netzbetreiber sein.
Andererseits braucht Energie, die nicht benötigt wird auch gar nicht produziert zu werden. Daher muss zunächst auf der Seite der Energieverbraucher, wie Industrieunternehmen, Kommunen oder Haushalte auf vernünftigen Umgang mit Energie d.h. auf Energieeffizienz und Einsparung geachtet werden.
Es folgt ein Überblick über die breite Palette von Aktivitäten dieses Themenbereiches, die diese Kriterien bestmöglich erfüllen und sich bereits jetzt mit wichtigen Partnern aus Wirtschaft und Forschung mit der wesentlichen Zukunftsfrage beschäftigen – den Energiesystemen der Zukunft:
„Fossilfreie“ Zukunft
Modelle zur Erreichung der Energieautarkie im Bezirk Güssing
Nachdem die Stadt Güssing mit einer Vielzahl von Projekten bereits die 100 %ige Energieautarkie erreichen konnte, versucht das Europäische Zentrum für Erneuerbare Energie Güssing dieses Konzept auf den ganzen Bezirk auszuweiten. Nach einer genauen Analyse der Verteilung von vorhandenen erneuerbaren Ressourcen und Energieverbrauchern werden jetzt konkrete Standorte zur Energieerzeugung definiert. Dazu wählt das Konsortium für jede Anlage die geeignete Technologie aus, erstellt ein Logistikkonzept und überprüft anschließend Wirtschaftlichkeit und Finanzierungsmöglichkeiten.
Organisation und Initiierung eines multifultifunktionalen Energiezentrale in der Gemeinde Deutschlandsberg
Ein ähnliches Modellsystem strebt die Gemeinde Deutschlandsberg an. Dort will das Planungsbüro Indrak die Übertragbarkeit des Modellsystems Güssings nachweisen und die Umsetzung anhand von Demonstrationsprojekten initiieren. Zu diesem Zweck wird eine optimale Kombination aus unterschiedlichen erneuerbaren Technologien und Komponenten auf Erzeugungs- und Verbraucherseite angestrebt. Beispiele dafür sind: Biomasse-KWK, Solarthermie, thermische Sanierung, Einspar- bzw. Anlagencontracting, Energiemanagement oder Marketing.
Industrielle Wärme mehrfach nutzen
Ein an sich sehr Erfolg versprechendes Konzept, in der Praxis jedoch oft schwieriges Unterfangen, ist die Nutzung von industrieller Abwärme in einem kommunalen Kontext. Zwei äußerst unterschiedliche Konzepte wurden zur Förderung ausgewählt:
Wärmelieferung im Container
ATB - Becker beabsichtigt die überschüssige Wärme aus einem Industriebetrieb ohne die hohen Kosten für ein Fernwärmenetz in Hotelbetrieben zu verwerten. So genannte Latentwärmespeicher werden im Betrieb „aufgeladen“, in handelsüblichen Transportcontainern zu den Wärmeverbrauchern geführt und an das vorhandene Heißwassersystem angeflanscht.
Erneuerbare Energieregion Micheldorf-Hirt
In der Region Micheldorf-Hirt soll eine Kombination aus bewährter und innovativer Technik im Bereich erneuerbarer Energie mehreren Industriebetrieben ermöglichen, den gesamten Energiebedarf für ihre Prozesse aber auch für die Gemeinde und private Haushalte aus den regional vorhandenen erneuerbaren Ressourcen bereitzustellen. Zu diesem Zweck plant die STENUM Unternehmensberatung, einen Energiepark im Besitz einer lokalen Betreibergesellschaft zu errichten, der nach Analyse der Einsparpotenziale die technische Energiebereitstellung übernimmt. Neben der Säge Hirt und der Brauerei Hirt beteiligt sich auch das Bistum Gurk als wichtiger Rohstofflieferant an diesem Vorhaben.
Wärme und Strom dezentral erzeugen
Die gemeinsame Erzeugung von Wärme und Strom am Ort des Verbrauchs ermöglicht zwar prinzipiell hohe Nutzungsgrade, allerdings müssen die Voraussetzungen dafür oft erst geschaffen werden, wie die beiden folgenden Projekte zeigen:
Dezentrale Energieversorgung mit Schmelzcarbonat-Brennstoffzellensystemen
Im Projekt BIO-VISION setzt sich die Profactor Produktionsgesellschaft das Ziel, die Hochtemperatur-Brennstoffzelle zur Verstromung von Biogas einzusetzen und damit den Verstromungswirkungsgrad von konventionellen Gasmotoren deutlich zu übertreffen. Dazu wird der Einsatz der Brennstoffzelle in unterschiedlichsten Modellsystemen untersucht und daraus Anforderungen für die Reinheit des Brennstoffes und das Verdampfungsverfahren abgeleitet: Beispielsweise könnte die Brennstoffzelle in Biodieselraffinerien, in Gärtnereien oder Brauereien den benötigten Strom und die erforderliche Wärme aus Biogas erzeugen, das aus den anfallenden Abfallprodukten gewonnen werden kann.
Einsatz von thermischen Kühltechnologien und optimale Kombination mit anderen Wärmeabnehmern zur Nutzung der sommerlichen Bio-Nahwärme: Fallbeispiel Gemeinde Mureck
Auch in Mureck ist das Ziel eine hundertprozentige Energieversorgung mit Kraftstoff, Strom und Wärme aus erneuerbaren Ressourcen. Ein Biogas-Blockheizkraftwerk deckt zwar einen Teil des Strombedarfs aus nachwachsenden Rohstoffen der Region, der größte Teil der anfallenden Wärme kann im Sommer aber nicht genützt werden. Das Projekt MULTI MUKLI erarbeitet jetzt ein Konzept für eine optimale Nutzung des anfallenden Wärmeüberschusses und eine gleichzeitige Reduktion der Spitzenlasten im Stromnetz während des Sommers. Abwärme soll z.B. für die Wärmeversorgung von Gewerbebetrieben oder für Klimatisierungszwecke durch thermisch angetriebene Kältemaschinen genutzt werden.
Modelle für mulitfunktionale Energiezentren - Ost-Steiermark
Ein vom Ökocluster Oststeiermark koordiniertes Projekt möchte verschiedene Modellsituationen für multifunktionale Energiezentren konzipieren, welche auf die besonderen Randbedingungen der Oststeiermark ausgerichtet werden. Diese Modellsituationen werden durch innovative Verschaltung von Grundtechnologien generiert, welche zusätzlich mit Koppelnutzungen versehen werden. Das Projektteam, dem auch Joanneum Research sowie lokale Energieagenturen und Akteure aus dem Regionalmanagement angehören, zieht dabei verschiedenste Technologien wie Biomassefeuerung, Biogas, Holzvergasung und die energetische Nutzung von Pflanzenöl als Treibstoff in betracht.
Die Praxis zeigt, dass beispielsweise bei landwirtschaftlichen Biogasanlagen die Sommerabwärme aus dem BHKW in den meisten Fällen praktisch nicht genutzt wird. So könnte diese Sommerabwärme für die Trocknung von Ölsaaten verwendet werden, die in Folge zu alternativen biogenen Treibstoffen veredelt werden.
Integration dezentraler Stromerzeugungsanlagen ins Netz
In Zukunft wird es durch den Einsatz von Energieerzeugungsanlagen mit Standorten sowohl in der Nähe des erneuerbaren Primärenergieträgers als auch nahe des Verbrauchers zu einer dezentral ausgerichteten Stromerzeugung kommen. Mit zunehmender Dichte an dezentraler Erzeugung treten allerdings grundlegende Systemfragen wie Netzmanagement, Kapazitätsplanung, Stabilität und Versorgungsqualität in den Vordergrund.
Aktiver Betrieb von elektrischen Verteilnetzen mit hohem Anteil dezentraler Stromerzeugung – Konzeption von Demonstrationsnetzen
In einem Projekt von Arsenal Research werden gemeinsam mit der Energie AG, Salzburg AG und der Vorarlberger Kraftwerke AG für Österreich typische Netzabschnitte ausgesucht. Dieses schlagkräftige Konsortium erarbeitet anschließend die erforderlichen Aktivitäten für die Realisierung eines dezentral dominierten Netzabschnitts mit hoher Dichte an dezentraler Stromeinspeisung.
Virtuelles Ökostrom-Kraftwerk
Das Team der Energy Economics Group der TU Wien stellt sich im Projekt Virtuelle Kraftwerke einer über die Einspeisung hinausgehenden Fragestellung: Die optimierte aufeinander abgestimmte Betriebsweise von Kraftwerken und Verbrauchern soll die Kosten für den Ausgleichsenergiebedarf für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energieträgern senken und damit insbesondere Windkraft wettbewerbsfähig machen. Für die konkrete Realisierung ist durch die Einbindung aller relevanten Akteure – Ökostromanbieter, Wien Energie als Netzbetreiber, Siemens als Regelungstechnikanbieter und Spar als Verbraucher gesorgt.
Biogasanlagen verfügen im Gegensatz zu Windkraftanlagen über die Möglichkeit, durch einen Gasspeicher die Stromeinspeisung in Bezug auf die Erfordernisse eines optimalen Netzregelbetriebs anzupassen. Genau diese Eigenschaft will sich die Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Zusammenarbeit mit einem Netzbetreiber und Biogasanlagenbetreibern zu Nutze machen. In einem Konzept für ein virtuelles Kraftwerk bestehend aus 20 Biogasanlagen wird der mögliche Beitrag zur Netzregelung bzw. Stabilisierung genau analysiert.
„Herausforderung Stadt“
Fernkälteübergabe und alternative Rückkühlung bei zentralen Groß-Absoptionskälteanlagen
In einem weiteren innovativen Projekt befasst sich Arsenal Research mit Kühltechnologien moderner Bürogebäude und Gewerbebetriebe. Dabei werden auch die geforderten technischen Rahmenbedingungen für Fernkälteübergabestationen erhoben. Nach der Auswahl und Kombination unterschiedlicher Kühltechnologien anhand des Kühlbedarfs und der Lastverläufe der geplanten Bürogebäude des Wiener Stadtentwicklungsprojektes TownTown werden daraus Strategien für eine intelligente Einbindung einer Fernkälteversorgung entwickelt. Anhand von dynamischen Anlagensimulationen werden unterschiedliche Regelungsstrategien untersucht, um sowohl ein effizientes Fernkältenetz, als auch eine an der NutzerIn orientierte Klimatisierung gewährleisten zu können. Das Projektkonsortium ist dabei mit dem Fernwärmenetzbetreiber, einem großen Warenhandelsunternehmen sowie Haustechnikern bestens aufgestellt, um weiters auch eine Machbarkeitsstudie zur alternativen Rückkühlung von zentralen Groß-Absorptionskälteanlagen durchzuführen.
Vor dem Hintergrund der Diskussion um den neuerlichen Einstieg in die Kernkraft in Europa ist eines aus der Fülle der derzeit in Bearbeitung stehenden Forschungsprojekte klar ersichtlich: Der Weg in eine nachhaltige Zukunft ist breit und wird von einer Vielzahl von engagierten Akteuren mit der finanziellen Unterstützung des F&E- Bereichs Nachhaltig Wirtschaften bereits beschritten.
Auch dieses Jahr gibt es wieder die Möglichkeit, Konzepte zur Initiierung und Vorbereitung von Modellsystemen einzureichen. Einreichstichtag für die Projektskizzen ist dabei der 24. Juli 2006.