Entwicklung von Methoden zur Automatisierung der operativen Produktionssteuerung unter dem Gesichtspunkt des nachhaltigen Wirtschaftens
Kurzbeschreibung
Status
abgeschlossen
Kurzfassung
Ausgangssituation und Motivation
Das Führen von Produktionsprozessen erfolgt heute fast ausschließlich nach klassischen betriebswirtschaftlichen Kriterien. Typische Fragestellungen sind dabei das Bewerten und Gegenüberstellen logistischer Betriebskennzahlen wie Ressourcenauslastung versus Bestände, Durchlaufzeiten und Termintreue. Die Kriterien Energieeinsatz, Betriebsmittelverbrauch, Abfall- und Schadstoffemissionen, Stressbelastung der MitarbeiterInnen, Arbeitsmonotonie etc. werden bei der Auftragsreihenfolgeplanung (Produktionssteuerung, rollierende Produktionsplanung) selten und vor allem kaum systematisch berücksichtigt. Sowohl Auftragsreihenfolge als auch Losgröße haben jedoch einen wesentlichen Einfluss auf nachhaltigkeitsrelevante Betriebskennzahlen. So erfordern ungünstige Reihenfolgen zusätzliche Umrüst-, Reinigungs- und Einstellvorgänge, welche sich in zusätzlichem Energieverbrauch (z. B. für die Werkzeugvorwärmung) wie auch in vermehrter Schadstoffemission durch Reinigungsmittel oder Restmaterial (z. B. bei Farb- oder Materialwechsel) widerspiegeln. Darüber hinaus beeinflusst die Reihenfolgeplanung die Arbeitsergonomie. Manuelle Tätigkeiten können bei gleichem Auslastungsmittelwert so eingeplant werden, dass jeweils kurze Belastungen sich mit gleich kurzen Pausen abwechseln, aber auch derart, dass einer längeren Belastung jeweils eine längere Pause folgt. Dieser Tatsache kann eine entsprechend ausgelegte Produktionssteuerung Rechnung tragen, indem nicht nur der Mittelwert der Pausenzeiten, sondern deren Verteilung und Länge in die ganzheitliche Bewertung eines Produktionsplanes einfließen und somit psychischer Ermüdung, Stressreaktionen, Fehlerhäufigkeit und unsicherem Verhalten vorgebeugt werden. Weiters lassen sich mit einer gezielten Abstimmung aufeinander folgender Aufträge manuelle Tätigkeiten abwechslungsreicher gestalten, was ebenfalls einer mentalen Ermüdung entgegenwirkt und damit die Produktionsqualität steigert.
Inhalte und Zielsetzungen
Zielsetzung des Projektes war die Entwicklung von Methoden und Verfahren zur Automatisierung der operativen Produktionssteuerung (rollierende Produktionsfeinplanung, Produktionsregelung) unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten des nachhaltigen Wirtschaftens. Das entwickelte Lösungskonzept berücksichtigt dazu Kriterien der Nachhaltigkeit wie Arbeitsergonomie, Energie- und Betriebsmittelverbrauch oder Abfallmenge in der Planung und führt eine Produktion automatisiert an einem aus ganzheitlicher Sicht optimalen Betriebspunkt. Die entwickelten Methoden wurden am Beispiel des Kunststoffgießens, einer flexiblen, werkstattorientierten Produktion evaluiert.
Methodische Vorgehensweise
Als Lösungskonzept für das geplante Entscheidungsunterstützungssystem wurde ein simulationsgestützter Ansatz gewählt: Dabei erstellen die eingesetzten Planungs- und Optimierungsverfahren Szenarien, welche zunächst von einem ereignisdiskreten Prozessmodell simuliert und anschließend in einem nachgeschalteten Bewertungsmodell evaluiert werden. Das Bewertungsmodell liefert dem Optimierungsverfahren (Scheduler, Regelsynthese) eine Rückmeldung über die Güte eines gewählten Szenarios, sodass ein iterativer Verbesserungsvorgang angestoßen werden kann. Die Ergebnisse der Planungs- bzw. Optimierungsläufe werden in Form von Gantt Charts oder als Strategie-Dialog visualisiert und in dieser Form den MitarbeiterInnen kommuniziert.
Aufgrund der hohen stochastischen Einflüsse durch alltägliche Störungen wurde die Idee verfolgt, parallel zu den Ablaufplänen auch Prioritätsregeln zu entwickeln, und im Falle einer Störung von der Ablaufplanung (Scheduling) auf eine situationsbasierte Planung (Dispatching) umzuschalten.
Für die Erstellung der Ablaufpläne wurde das Konzept des Resource Constraint Project Schedulings (RCPS) herangezogen und als Adaptive Large Neighborhood Search, einer nachbarschaftsbasierte Metaheuristik implementiert.
Für das regebasierte Dispatching wurde das Prozessmodell um Regelinterpreter an den einzelnen Entscheidungspunkten erweitert, welche bei Bedarf die eingestellten Prioritätsregeln ausführen und situativ Entscheidungen fällen. Die Prioritätsregeln wurden automatisch mittels Genetic Programming synthetisiert und optimiert.
Zur ganzheitlichen Bewertung der generierten Szenarien wurden die vom Prozessmodell beobachteten Kennzahlen in einem nachgeschalteten Bewertungsmodell gewichtet und zu einem gemeinsamen Fitnesswert zusammengeführt. Zentrales Element des Bewertungsmodells sind Übertragungsfunktionen zur Umrechnung der in unterschiedlichen Einheiten beobachteten Größen in Kennzahlen gleicher Einheit.
Ergebnisse
Im Zuge des Projektes wurde das entwickelte Konzept prototypisch unter .NET implementiert. Als Basis für die Erstellung der Prozess- und Bewertungsmodelle wurde die von Profactor entwickelte Simulationsbibliothek SiRO für die Abbildung ereignisdiskreter Systeme gewählt, für die Synthese und Optimierung der Dispatching-Regeln das am HEAL entwickelte HeuristicLab. Das Adaptive Large Neighborhood Search Verfahren wurde unter C++ implementiert. Die für die Initialisierung der Prozessmodelle erforderlichen Stammdaten sowie die zu verplanenden Auftragsdaten werden über eine Datenbankschnittstelle aus dem ERP-System APplus übernommen. Das Prozessmodell umfasst alle relevanten Produktionsschritte von der Kernvorbereitung bis zur mechanischen Nachbearbeitung der gegossenen Teile. Das individuelle Bewertungsmodell berücksichtigt ökonomische (Durchsatz, Termintreue, Durchlaufzeit), ökologische (Rüstvorgänge mit Materialverbrauch, Nachbearbeitungszyklen) und arbeitsergonomische Aspekte (Einhaltung Pausenzeiten, Regeneration von Überstunden, Arbeitsmonotonie, Hitze und Kälte). Neben den Einzelkennzahlen und dem zusammengeführten Fitnesswert wird die Qualität der Planungslösung bzw. der Dispatching-Regeln mit Hilfe eines Gantt-Charts der Produktionsabläufe visualisiert.
Die im Projekt durchgeführten Experimente bestätigen den gewählten Lösungsansatz: Mit beiden implementierten Verfahren konnten die Auftragsreihenfolgen optimiert werden. Eine Aussage über die Qualität der gewählten Algorithmen und deren Parametrierung konnte jedoch noch nicht gemacht werden.
Für eine tiefergehende, wissenschaftliche Untersuchung der Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Konfigurationen und Parametrierungen von Optimierungsverfahren, Bewertungsmodell und Simulationsmodell wurde ein Nachfolgeprojekt initiiert. Speziell sollen in diesem Projekt die Algorithmen und Modelle noch weiter auf ihre Robustheit und Performance untersucht werden. So gilt es u. a. zu klären, wie sich die Algorithmen, bzw. synthetisierten komplexen Prioritätsregeln bei Datenfehlern, Veränderung von Prozess- und Auftragsparametern oder bei einer Änderung der Produktionsstrategie (Anpassung des Bewertungsmodells) verhalten. Ein weiterer, wissenschaftlich noch zu untersuchender Punkt ergibt sich aus der Interpretation der mit genetischer Programmierung optimierten Modelle (komplexe Prioritätsregeln).
Publikationen
Nachhaltige Produktionsregelung
Schriftenreihe 40/2011
M. Vorderwinkler, H. Heiß, Herausgeber: BMVIT
Deutsch, 79 Seiten
Downloads zur Publikation
Projektbeteiligte
Projektleitung
Dr. Markus Vorderwinkler
PROFACTOR GmbH
Projektmitarbeiter
Helga Heiß
Projekt- und Kooperationspartner
- arbeitsleben KG
- FH OÖ Forschungs & Entwicklungs GmbH
- Universität Wien, Lehrstuhl für Produktion und Logistik
- ABF Industrielle Automation GmbH
- ASMA GmbH
- Schneegans-Silicon GmbH
Kontaktadresse
PROFACTOR GmbH
Dr. Markus Vorderwinkler
Im Stadtgut A2, A-4407 Steyr-Gleink
Tel.: +43 (7252) 885
E-Mail: markus.vorderwinkler@profactor.at