Reparaturinitiativen in Europa: Innovationen, Geschäftsmodelle, Empfehlungen. Erfahrungen vom Netzwerk PREPARE

Die Europäische Union und viele Länder in Europa haben begonnen einzelne Maßnahmen in Richtung „Erhöhung der Reparaturquote" zu ergreifen. Diese Arbeit erhebt mithilfe von Umfragen und Interviews, die mit Unterstützung von Kontakten des seit fast 30 Jahren existierenden Netzwerks „PREPARE" zustande kamen, solche Maßnahmen in anderen europäischen Ländern – v.a. im Hinblick auf „Best-Practice-Beispiele" und „Lessons learned" – und analysiert ihre Übertragbarkeit auf Österreich.

Kurzbeschreibung

Die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten und die damit zusammenhängende Verminderung des Ressourcen- und Energieverbrauches in der Produktion ist ein wichtiges Standbein der Kreislaufwirtschaft. Der Übergang zu dieser nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaftsform ist wiederum essenziell um die Auswirkungen der Klimakrise so gering als möglich zu halten.

Reparieren findet zu wenig statt. In Österreich entstehen jährlich beispielsweise 80.000 t Elektronikschrott. Nicht mehr repariert wird die Mehrheit der Geräte, weil sich laut Einschätzung der Befragten eine Reparatur nicht mehr auszahlt, aufgrund der hohen Reparaturkosten, aber auch wegen des hohen Produktalters. Reparatur wirkt auch wegen der günstigen Verfügbarkeit von Neugeräten (Gründe dafür im Kapitel 6.2., „Schlussfolgerungen") teuer und Neugeräte haben ein positives Image. Dass diese im Vergleich zu älteren Geräten oft auch schlechter bis gar nicht reparierbar sind, führt zu dem häufigen Glauben, dass Reparaturen sich allgemein nicht auszahlen – meist anstatt dass Leute sehen, dass man beim Kauf auf Reparierbarkeit achten sollte. Reparierbare Geräte können auf Dauer auch günstiger kommen als ständige Neukäufe. Und auch eigene Reparaturfähigkeiten sparen Geld, geben gegebenenfalls Selbstvertrauen und verringern die Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer, sollte man sich eine Reparatur oder ein Neugerät nicht leisten können oder wollen.

Die Europäische Union und viele Länder in Europa haben begonnen einzelne Maßnahmen in Richtung „Erhöhung der Reparaturquote" zu ergreifen. Diese Arbeit erhebt mithilfe von Umfragen und Interviews, die mit Unterstützung von Kontakten des seit fast 30 Jahren existierenden Netzwerks „PREPARE" zustande kamen, solche Maßnahmen in anderen europäischen Ländern – v.a. im Hinblick auf „Best-Practice-Beispiele" und „Lessons learned" – und analysiert ihre Übertragbarkeit auf Österreich.

Reparieren sollte eigentlich selten notwendig sein, denn ein Gerät oder eine Maschine sollte aufgrund des Produktdesigns bei ordnungsgemäßer Handhabung und regelmäßiger Wartung beliebig lange im Einsatz sein können. Dies betrifft auch Gegenstände und Tätigkeiten, die den meisten wohl nicht in den Sinn kommen, wenn man an Service/ Wartung denkt (z.B. Matratzen waschen, stumpfe Messer schleifen, Pfannen nachbeschichten).

Neben werkstofflicher, technischer und ökonomischer Obsoleszenz beeinflusst auch die „psychologische Obsoleszenz" die Produktnutzungsdauer. Dazu zählen z.B. der Wunsch „das Neueste zu besitzen", aber auch hohe ästhetische Ansprüche, welche (zumindest wenn ein „Ersatzkauf" finanziell „nicht weh tut", da etwas z.B. billig produziert wurde) dazu führen, dass manche z.B. ein Bügelbrett hergeben/ wegwerfen, wenn ein „Plastikfuß" fehlt oder nicht ein bzw. vier Füße in derselben Farbe und Art als Ersatzteile erhältlich sind (und vermutlich auch nicht suchen würden, ob diese Teile irgendwo zu finden wären). Also braucht es – um bei diesem Beispiel zu bleiben – zwar einerseits Bügelbretter, bei denen die „Plastikfüße" (fast) nicht heruntergehen, und eine Standardisierung von Ersatzteilen, sodass die nötige Menge an Ersatzteilen geringer wird und diese ausreichend lang, zu fairen Preisen und über die Website des Herstellers findbar zur Verfügung gestellt werden (können). Andererseits braucht es aber auch Konsument:innen, die Ersatzteile und nicht stattdessen ein neue(re)s und dadurch z.B. sauberes Produkt kaufen. V.a. bei Produkten, die auch mit der besten Pflege nach einer Weile vermutlich nicht mehr wie neu aussehen (z.B. Grillplatte, Duschvorhang). Während es hierbei darum geht, Menschen zu freiwilligen Verhaltensänderungen zu bewegen, würden die davor genannten Änderungen bezüglich Produktqualität und Ersatzteilen vermutlich nur umgesetzt werden, wenn es entsprechende Gesetze gäbe.

Ein weiterer Grund, warum funktionsfähige Gegenstände überflüssig werden, ist, dass oft ohne nochmaliges Nachdenken, ob man sie wirklich benötigt bzw. unbedingt allein besitzen muss (anstatt sie zu leihen oder zu teilen) eingekauft wird. Wenn man noch nicht weiß, ob man etwas besitzen will, wäre ein Ausleihen eine Alternative zu „kaufen und wieder hergeben, wegwerfen oder ungenutzt herumliegen lassen". Hier bedingen sich mangelnde Nachfrage nach und ein geringes Angebot an Verleih-Geschäftsmodellen gegenseitig, Gegenstände können eventuell privat geborgt werden.

Der Wunsch, immer das Neueste zu besitzen zu wollen, wird stark durch Werbung und Vergleiche (v.a. innerhalb der eigenen sozialen Gruppe) gefördert. Und, damit zusammenhängend, durch soziale Normen. Mehr dazu (z.B. dass Influencer:innen helfen könnten, das Image von Reparatur und die Akzeptanz von offensichtlich Repariertem zu erhöhen, oder dass Werbung den langfristigen Kostenvorteil reparierbarer Produkte hervorheben könnte) in Kapitel 5.3.6. (Zusammenfassung Kapitel 6.4).

Schlechte Reparaturerfahrungen schaden dem Image von Reparatur stark und können z.B. daher stammen, dass es tatsächlich „schwarze Schafe" unter den Reparaturbetrieben gibt oder dass etwas falsch gelaufen ist, aber auch daher, dass Kund:innen zu wenig von Reparatur verstehen um z.B. einen Preis als gerechtfertigt anzusehen. Reparaturnetzwerke mit selbstauferlegten Qualitätskriterien oder Garantien auf Reparaturen können hier helfen (s. Kapitel 5.3.7.). Ebenso wie eine der vielen interessanten Ideen von DECATHLON (s. Kapitel 5.3.7.): Online-Unterstützung, während man selbst repariert.

Ein weiterer psychologischer Faktor, warum Erwachsene Dinge nicht reparieren lassen, ist die „Macht der Gewohnheit". Bei Kindern kann die Einstellung Reparatur gegenüber und ihre Gewohnheiten noch leichter geformt werden, weshalb sie z.B. im Unterricht Reparieren lernen sollten (s. Kapitel 6.4.). Im Laufe des Projekts wurden für Erwachsene folgende Ansätze gefunden, warum sie die Gewohnheit nichts reparieren zu lassen unterbrechen könnten:

  1. Die Reparatur ist gratis/billig (z.B. Repair Café, Reparaturbonus) oder man erhält (z.B. als Firmenweihnachtsgeschenk) Gutscheine eines Reparaturunternehmens/ Reparaturnetzwerks
  2. Man hat eine emotionale Verbindung zu dem Gegenstand
  3. Man will sich nicht mit der Bedienung eines neuen Geräts vertraut machen müssen
  4. Man wird durch Werbung oder soziale Normen in diese Richtung beeinflusst
  5. Jemand hat einem von einer positiven Reparaturerfahrung erzählt bzw. man vertraut durch ein Gütesiegel einem oder mehreren Reparaturunternehmen, während man vorher nicht gewusst hätte, zu welchem Unternehmen man gehen soll – und nach dem „Ausprobieren" kann eine positive Reparaturerfahrung zur Bildung einer neuen Gewohnheit führen
  6. Der Preis eines Neugeräts lässt eine Reparatur attraktiver werden

Zu neuem Verhalten motivieren kann vielleicht auch ein Erleben der Menge an Müll und der Menge an darunter noch reparierbaren Geräten in Ressourcen-Parks (mehr dazu in Kapitel 5.3.6.).

Die „Macht der Gewohnheit" nicht brechen, sondern sie sich zunutze machen, könnte man z.B. durch Geschäftsmodelle, bei denen ein Treuepass für Wartungen oder Upgrades Vergünstigungen verheißt. Oder dadurch, dass Leute, welche nach der Entsorgung eines Gegenstands in einem Re-Use-Park einen neuen besorgen wollen, durch nebenan gelegene Second-Hand-Geschäfte oder Geschäfte, die langlebige Geräte verkaufen, dazu verleitet werden könnten, den „Ersatzkauf" gleich dort zu tätigen. Solange das Image des Kaufs eines Second-Hand-Gegenstands positiver als das Image von Reparatur, sollten noch brauchbare und reparierbare Gegenstände in Abfallwirtschaftszentren aussortiert und verkauft werden. Dies würde zwei Nachteile von Reparatur ausgleichen: Dass man während der Reparaturdauer auf das Gerät verzichten muss und dass das Hinbringen zur und Abholen von der Reparatur zwei Wege sind, während Entsorgung und Neukauf mit einem Weg erledigt werden können. Mehr dazu und Best-Practice-Beispiele in Kapitel 5.3.8. (Zusammenfassung Kapitel 6.3.).

Neben einer zumindest stark verringerten finanziellen Schlechterstellung von Reparatur gegenüber Neukauf und einem positiveren Image von Reparatur (z.B. auch durch Vorbildwirkung von öffentlicher Beschaffung und Unternehmen), sollte Reparatur zusätzlich noch einfacher, idealerweise so einfach wie ein Kauf oder sogar ein Online-Kauf werden. Kann ein Gegenstand repariert bzw. „wieder hübscher gemacht werden" könnte z.B. eine Hotline Auskunft geben, wo man ihn hinbringen muss (z.B. werden einige vermutlich nicht wissen, dass man Taschen teils beim Schuhmacher nähen lassen kann), oder die Leute zu den zuständigen Reparierenden verbinden, welche bei einer Fehlerbeschreibung vielleicht mögliche Fehlerursachen (und welche Optionen man als nächstes hat) sagen können. Außerdem könnte es dort noch Unterstützung beim Finden von Ersatzteilen und Wartungs- und Reinigungstipps geben – natürlich mit tatsächlich Erprobtem (nicht wie viele der „Life hacks" auf Youtube). Oder diese Informationen und vielleicht auch noch Links zu Online-Gebrauchsanweisungen verschiedener Herstellender werden (soweit möglich ohne dass es zu unübersichtlich wird) auf einer seriösen Website gesammelt, auf welche z.B. alle Reparaturnetzwerke verlinken.

(Staatliche) finanzielle Unterstützung wäre an vielen Stellen höchst hilfreich: Von der Finanzierung einer solchen Hotline (und/oder Website), über Geld für Lobbying und Werbung, über die Finanzierung von Produkttests zur Bewertung von Reparierbarkeit und dementsprechender Kennzeichnung der Produkte (Reparierbarkeitsindex, siehe Kapitel 6.1.), über Geld für die Überprüfung der Einhaltung von Gesetzen und das Eintreiben der Strafzahlungen (welche dann weitere Produkttests finanzieren können), über die Finanzierung von Personalstunden für Reparaturnetzwerke (z.B. zum Überprüfen neuer Mitglieder oder für Vernetzungs-, Bewerbungs-, administrative Tätigkeiten), über die Unterstützung von Repair Cafés, die Finanzierung eines Reparaturbonus oder eines Wartungsbonus (siehe Kapitel 5.2.) bis zum Ermöglichen von Reparaturen, welche von Unternehmen nicht kostendeckend durchgeführt werden können. Mehr dazu im Kapitel 5.3.2. (Zusammenfassung Kapitel 6.2.).

Weitere Erkenntnisse und Empfehlungen finden sich im Kapitel 6 „Schlussfolgerungen".

Es wurden entsprechende Vorschläge ausgearbeitet, um Reparaturen vermeidbar zu machen, die Durchführung von Reparaturen zu erleichtern, die Reparaturlogistik und -infrastruktur zu verbessern und allgemein gesellschaftliche Ansätze zur Erhöhung der Reparaturquote definiert. Auch eine Liste an Vorschlägen für detaillierte zukünftige Forschungsvorhaben wurde erarbeitet (s. Kapitel 7 „Ausblick und Empfehlungen"). Diese umfasst:

  • Ausarbeitung einer Lobbying-Strategie für Maßnahmen, die Reparaturen einerseits seltener nötig und andererseits möglich machen
  • Steigerung des Images von Reparatur als Auswirkung des Reparaturbonus?
  • Erlernen von Reparatur-Know-How für Jugendliche und Erwachsene
  • Ausarbeitung eines Konzeptes zum Schaffen von Anreizen für langlebige Produkte
  • Erhebung, bei welchen Produkten der Wunsch nach Langlebigkeit überwiegt und bei welchen Produkten und warum der Wunsch nach Neuem
  • Umfrage nach Rahmenbedingungen zur Akzeptanz von Sharing
  • Ausarbeiten von Ansätzen zur Finanzierung von finanziell nicht rentabler Reparatur z.B. durch eine teilweise Umleitung der ERA-Abgaben (EPR-Gebühr, die beim Kauf gewisser Produkte mitgezahlt wird) oder Erhebung von Steuern auf nicht langlebige Produkte
  • Konzept zur Steigerung der Kaufbereitschaft von „pre-loved"-/ "Second Hand"-Gegenständen
  • Konzept zur Zusammenarbeit von Abfallwirtschaftszentren, Sozialökonomischen Reparaturbetrieben und (Second-Hand-)Geschäften
  • Sondierungsprojekt zur Identifikation von Nischen für neue Geschäftsmodelle zur Reparatur, Wartung und Instandhaltung und Umfrage zu Faktoren für eine höhere Annahme von Geschäftsmodellen zur Wartung und Instandhaltung, von Product-as-a-Service (z.B. durch Nudging)
  • Sondierung von Ansätzen zur Senkung der Kosten von Reparatur z. B. durch Digitalisierung einzelner Prozessschritte
  • Konzept zur verbesserten Ausbildung von Reparaturfachleuten
  • Study-Tours zu erfolgreichen Umsetzungsprojekten in Belgien, den Niederlanden, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Schweden
  • Sondierung zur Verbesserung der Verfügbarkeit von Ersatzteilen
  • Verankerung von Reparatur und „pre-loved" in der öffentlichen Beschaffung
  • Konzept zur Qualitätssicherung von Reparatur durch Reparaturnetzwerke
  • Auswertung der Erfahrungen aus Repair Cafés und Umfrage unter Besucher:innen (z.B. warum der Wunsch nach Neuem)

Publikationen

Reparaturinitiativen in Europa: Innovationen, Geschäftsmodelle, Empfehlungen. Erfahrungen vom Netzwerk PREPARE

Die Europäische Union und viele Länder in Europa haben begonnen einzelne Maßnahmen in Richtung „Erhöhung der Reparaturquote" zu ergreifen. Diese Arbeit erhebt mithilfe von Umfragen und Interviews, die mit Unterstützung von Kontakten des seit fast 30 Jahren existierenden Netzwerks „PREPARE" zustande kamen, solche Maßnahmen in anderen europäischen Ländern – v.a. im Hinblick auf „Best-Practice-Beispiele" und „Lessons learned" – und analysiert ihre Übertragbarkeit auf Österreich. Schriftenreihe 10/2024
H. Schnitzer, J. Fresner, S. Wohlgemuth
Herausgeber: BMK
Deutsch, 84 Seiten

Downloads zur Publikation

Projektbeteiligte

Dr. Hans Schnitzer und Stephanie Wohlgemuth, BA
StadtLABOR - Innovationen für urbane Lebensqualität GmbH

Dr. Johannes Fresner
STENUM GmbH